Der Abgeordnete Florian Kindle verlangt Aufklärung über die Säuberungsaktion gegen Reichsdeutsche und Österreicher


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, ungez. [1]

23.10.1945

6. Interpellation:

Der Präsident [David Strub] bringt dann noch eine Interpellation des Abg. [Florian] Kindle zur Verlesung. [2]

Abg. Kindle begründet die Interpellation wie folgt:

Ich habe mich veranlasst gesehen, die vom Herrn Präsidenten vorgelesene Interpellation einzureichen, weil im liechtensteinischen Volke eine tiefe Beunruhigung über das Vorgehen bei Wegweisung von Ausländern sich bemerkbar macht. Der Liechtensteiner wünscht ein Vorgehen gegen Elemente, die sich wesentlich gegen die Sicherheit des Staates und gegen seine Gesetze vergangen und dadurch das gebotene Gastrecht missbraucht haben. Es entspricht jedoch dem Rechtlichkeitsempfinden unseres Volkes, dass gemäss der Erklärung der Regierung vor dem Landtag nur dann eingeschritten wird, wenn eine staatsfeindliche Tätigkeit des Betroffenen oder eine schwere gesetzwidrige Haltung einwandfrei nachgewiesen wird, [3] es will alle unnötigen Härten und jegliche Ungerechtigkeit vermieden haben. Nicht politischen Hass und nicht Eigennutz sind die Triebfeder der Haltung unseres Volkes, sondern von christlichem Denken getragenes Sicherheitsbedürfnis.

Nun aber ist in weiten Kreisen des Volkes und zwar, es sei betont, ohne Rücksicht auf Parteieinstellung, die Meinung verbreitet, es sei den Weggewiesenen vor der Beschlussfassung über ihr Schicksal teilweise das Recht gehört zu werden versagt worden oder, dass in anderen Fällen, wo die Betreffenden angehört wurden, auf ihre Verantwortung nicht eingegangen worden sei, so dass der Eindruck entsteht, das rechtliche Gehör sei nur formal zugestanden worden, dass es jedoch in Wirklichkeit ohne Einfluss auf den Gang der Dinge sei. Das will sagen, dass die Meinung weit verbreitet ist, die Wegweisung sei in jedem Einzelfalle schon längst ausgemachte Sache, der Nachweis staatsfeindlicher Tätigkeit Nebensache, das Zugeständnis des rechtlichen Gehörs blosse Form und damit eine rechtliche Farce.

Das liechtensteinische Volk aber trägt moralisch vor sich und der Nachwelt die Verantwortung für das Geschehen und es ist sich seiner Verantwortung auch voll bewusst. Es weiss genau, dass der liechtensteinische Staat in seiner Kleinheit nur aufgebaut auf klarer, bürgerlicher Rechtlichkeit und auf christlich-katholischer Grundhaltung existenzfähig ist.

Es weiss auch, dass es nur dann mit seinem christlichen Gewissen vereinbar ist, dass Männer, Frauen und Kinder in die unvorstellbare Härte und die graue Hoffnungslosigkeit des kommenden Winters nach Deutschland und nach Österreich verjagt werden, wenn wirklich schwerwiegende Grunde dafür sprechen. Gerade aus seinem Rechtlichkeitssinn heraus aber wünscht das liechtensteinische Volk auch in diesem Falle die Anwendung des Rechtsgrundsatzes "Im Zweifel ist zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden."

Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das Erwachen des Weltgewissens, das sich äussert in den Warnungen der schweizerischen Presse während der letzten Wochen, in der Haltung Schwedens und nicht zuletzt auf beachtliche Stimmen in englischen Zeitungen, die auch ins englische Parlament Eingang gefunden haben.

Wenn das englische Volk, das durch den vergangenen Krieg so unendlich viel gelitten, so viel an materiellen und kulturellen Gütern verloren hat, beginnt, seinem erbitterten Feind von gestern - soweit das heute schon möglich ist - ohne Hass und mit menschlichen Gefühlen zu begegnen, weiss das liechtensteinische Volk umso mehr, dass es Gott und dem Schicksal für den genossenen Frieden inmitten einer Welt des Hasses nicht durch Rachsucht, sondern nur durch strenge Rechtlichkeit, verbunden mit christlicher Duldsamkeit den nötigen Dank abstatten kann.

Aus all diesen Gründen hat unser Volk das Recht zu wissen, was vorgeht und seinen Einfluss durch das Parlament auch in dieser schwerwiegenden Frage geltend zu machen.

Ich behalte mir vor, nach erfolgte Berichterstattung durch den Vertreter der Regierung meine Anträge an den Landtag zu stellen.

Regierungschef [Alexander] Frick antwortet hierauf, dass die Regierung in der nächsten Sitzung zu dieser Interpellation Stellung nehmen werde. [4] Er möchte diese Frage vom gesamten Regierungskollegium beantwortet wissen und führt wörtlich aus: Wir haben bis heute, wie in der letzten Landtagssitzung auch vorgeschlagen, nur im Rahmen der von der schweizerischen Bundesanwaltschaft aufgestellten Richtlinien und hauptsächlich die Parteifunktionäre weggewiesen. [5] Ich glaube, dass es heute jedem klar ist, dass die NSDAP eine latente Gefahr für unser Land war. Diese hat von Stuttgart aus ihre Direktiven erhalten und ich bin überzeugt, dass wenn etwas zustandegekommen wäre, diese Direktiven auch sicherlich durchgeführt worden wären. Auch waren diese Parteifunktionäre die eigentlichen Priester und Diener dieser Idee. Wir werden noch auf die Begründung der Interpellation eingehen, werden allerdings die Fälle der derzeit Weggewiesenen unsererseits noch zur Durchführung bringen. Eine ausführliche Beantwortung wird noch folgen.

 

 

______________

[1] LI LA LTP 1945/096.
[2] Zum Wortlaut der Interpellation vgl. LI LA LTA 1945/L29 (Schreiben Kindles an den Landtagspräsidenten vom 22.10.1945).
[3] LI LA LTP 1945/076.
[4] Vgl. LI LA LTP 1945/117.
[5] Zu den Schweizer Richtlinien vgl. LI LA RF 230/478a/I, Schreiben der Bundesanwaltschaft, 26.6.1945 sowie ebd., Kreisschreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, 16.7.1945.