BiL-Verwaltungsratspräsident Emil A. Schmid wendet sich gegen die Vorstellung, Liechtenstein sei ein "Dorado für Flucht- und Wandergelder aller Art"


Abschrift eines Schreibens von BiL-Verwaltungsratspräsident Emil A. Schmid an Bundesrat Ernst Nobs, Bern  [1]

19.4.1945, Zürich

Hochverehrter Herr Bundesrat Nobs,

als Mitglied der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft habe ich gestern Abend Ihrem sehr interessanten Vortrag über "Die Probleme der Bundesfinanzen" mit grossem Genuss beigewohnt. Ich hatte mich zur Diskussion gemeldet: "Wenn noch Zeit übrig bleibt ...". Ich wollte mir erlauben, zu Ihren Ausführungen über Liechtenstein einige Gedanken vorzubringen. Das wäre mir nicht zuletzt bei dieser Gelegenheit besonders erwünscht gewesen, weil just ein erlesener Kreis da war, an den ich mich allgemein und für einzelne besondere Fragen gerne gewandt hätte. Ich habe nämlich schon längst den Eindruck, dass man Liechtenstein hinsichtlich "Steuerasyl" sehr stark überschätzt. Ich bitte, mir zu gestatten, das kurz schriftlich darzulegen, was ich in einem Votum gerne mündlich geäussert hätte.

Meines Erachtens macht man sich allgemein eine übertriebene Vorstellung über die fremden Gelder, die in Liechtenstein Unterkunft haben sollten. Ich vermute, dass das auf hergekommene Vorstellungen zurückzuführen ist, wonach Liechtenstein ein Dorado für Flucht- und Wandergelder aller Art sei. Wenn diese Ansicht einmal berechtigt gewesen ist - was ich nicht beurteilen kann, da ich erst seit 1936 als Leiter der Bank in Liechtenstein A.G. in näherer Beziehung mit dem Fürstentum stehe - so ist das bestimmt jetzt nicht mehr der Fall. Die sehr strengen Devisengesetze in den Ländern, aus denen vielfach gewisse Interessen in Liechtenstein Schutz suchten, habe eine, soviel ich feststellen kann, fast vollständige Auflösung dieser ausländischen Interessen zur Folge gehabt. Den schweizerischen Fiskus interessiert aber nur, was an schweizerischem Kapital in Liechtenstein sein könnte. Hiezu darf ich folgendes bemerken:

Fluchtgelder können praktisch nur in mobiler Form. also als Aktien, Obligationen und Bankguthaben Unterkunft finden. Die Bankguthaben können nur bei den zwei bestehenden Banken, der Landessparkasse und der Bank in Liechtenstein A.G., liegen. Nun zeigen die Bilanzziffern der beiden Banken deutlich, dass es sich nicht um Beträge von Bedeutung handeln kann. Die Passivgelder der Bank in Liechtenstein A.G. sind seit Jahren stabil und diejenigen der Landessparkasse haben nur leicht zugenommen, was durchaus in Zusammenhang mit dem relativ guten Wirtschaftsgang der letzten Jahre gebracht werden kann. Ich nenne zur Ergänzung dieser Angaben nachstehend einige Ziffern aus den Bilanzen der beiden Banken:

 

Landessparkasse

 

 

Spargelder

Kreditoren

Oblig. und Pfandbriefe

in Mill. Fr.

1936

5.29

4.84

2.88

1938

5.24

4.29

4.14

1940

4.76

3.37

5.64

1942

5.28

7.45 *

6.69

1943

6.09

11.38 *

7.29

1944

?

?

?

 

 

Bank in Liechtenstein A.G.

 

 

Spargelder

Kreditoren

Oblig. und Pfandbriefe

in Mill. Fr.

1936

0

2.21

1938

0.012

1.16

1940

0.064

1.19

keine

1942

0.202

1.59

1943

0.462

2.74

1944

0.747

2.07

 

* Diese Zunahmen dürften vornehmlich im Zusammenhang stehen mit der Eröffnung der nacherwähnten grösseren Industrieunternehmung. Doch ist das nur meine persönliche Vermutung.

Was nun die Aktien und Obligationen anbelangt, wenn welche in Liechtenstein verwaltet werden, so zahlen diese auf jeden Fall die Couponsteuer und jetzt auch die Verrechnungssteuer. Der Bund kassiert also auf jeden Fall genau dasselbe ein für Depots, die etwa über Liechtenstein verwaltet werden sollten, wie für in der Schweiz nicht versteuerte Aktien und Obligationen. Wenn ein Schweizer also einen Teil seines Vermögens, das in Titeln dieser Art besteht, nicht versteuern will, so braucht er deswegen nicht eigens nach Liechtenstein zu gehen, im Gegenteil, in Liechtenstein zahlt er noch Domizilgebühr und Steuer, was er sich ersparen kann, wenn er daheim bleibt.

Dasselbe gilt für das Wehropfer und die Wehrsteuer. Er kann auch unterlassen sie zu zahlen, wenn er seine Titel in der Schweiz hat.

Soweit ausländische Titel, namentlich amerikanische, etwa in liechtensteinischen Sitzgesellschaften liegen könnten, werden sich die Eigentümer wohl hüten, diese nicht zu versteuern, da ihnen das Risiko, dadurch später unter Umständen viel schwerer, vielleicht gar nicht mehr in den Besitz dieser Kapitalien zu kommen, wohl bewusst sein dürfte.

Auf Grund dieser Tatsachen und ebenso auf Grund meiner eigenen Beobachtungen glaube ich der bestimmten Ausdruck geben zu können, dass man die Fluchtgelder in Liechtenstein gewaltig überschätzt. Es liegt mir ganz besonders daran, Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesrat, diese Gedanken zur Kenntnis zu bringen. Bestimmt nicht, um damit Steuerflüchtlinge praktisch oder moralisch zu schützen, wohl aber um eine richtigere Beurteilung Liechtensteins in diesem Punkte zu fördern.

Andere Mittel von Bedeutung, der Schweiz über Liechtenstein Steuern zu entziehen, gibt es wohl wenige oder gar keine. Nehmen wir an, eine schweizerische Gesellschaft würde einer liechtensteinischen Gesellschaft beispielsweise Lizenzen zahlen, so haben doch die Eidg. Steuerbehörden heute jede Möglichkeit, die Berechtigung einer solchen Zahlung genau zu überprüfen.

Die Verlegung schweizerischer Betriebe nach Liechtenstein dürfte ebenfalls keine wesentliche Rolle spielen. Der einzige Fall der Eröffnung eines grösseren Betriebes [2] in Liechtenstein in den letzten Jahren ist wohl diskutierbar - soviel ich weiss, sind nicht alle massgebenden Kreise in Liechtenstein davon begeistert. Es handelt sich aber formell um eine rein liechtensteinische Gesellschaft. Wenn dahinter schweizerisches Kapital steht, so glaube ich, hat in diesem Fall der Fiskus die Möglichkeit zum Rechten zu sehen. Immerhin ist zu sagen, dass im Betrieb auch schweizerische Arbeitskräfte beschäftigt werden, dass der Rohstoff aus dem Ausland kommt und das Fabrikat wieder ins Ausland geht, so dass man auch die Meinung vertreten könnte, dass die Schweiz dadurch nicht benachteiligt wird, vielleicht sogar auch einen gewissen Vorteil hat.

Eine Wirtschaftsunion zwischen zwei im übrigen vollkommen selbständigen Staaten wird immer einige ungelöste Fragen enthalten müssen. Es wird auch hier nur ein relativ guter Zustand geschaffen werden können und nie das absolut Beste erreichbar werden. Alles in allem berücksichtigt aber darf man wohl feststellen, dass die Wirtschaftsunion und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den zwei Staaten für beide Teile sich recht angenehm auswirken.

An die Adresse hauptsächlich der Grossbanken-Vertreter hätte ich sodann noch gerne einige Worte gerichtete, die ich mir erlaube hier beizufügen, in der Meinung, dass sie das Bild etwas abzurunden geeignet sind.

Da ich nun einmal die Aufgabe habe, die kleine Bank in Liechtenstein A.G. etwas zu betreuen, so befasse ich mich seit Jahren mit den finanziellen Problemen, die beide Banken Liechtensteins im Zusammenhang mit deren Verbundenheit mit dem Land auch dieses als solches betreffen. Die beiden Banken suchen seit Jahren Anschluss an die Schweiz. Bankiervereinigung. [3] Im Jahre 1932 ist bereits einmal ein solcher Schritt von der Sparkasse für das Fürstentum Liechtenstein unternommen worden, ohne Erfolg. Nicht einmal der Eintritt in den Zürcher Effektenbörsenverein wurde ihnen gestattet, erst vor einigen Jahren sind wir in den Courtageverband aufgenommen worden. Wir haben daher nie die Rundschreiben der Schweiz. Bankiervereinigung bekommen, die doch stets alle Instruktionen enthalten, die für die Banken massgebend sind im Zusammenhang mit schweizerischen Gesetzen, Handelsverträgen usw. Man verlangt dagegen von uns, dass wir alles wissen und alles beachten. Ein Verstoss würde sofort übelgenommen, niemand aber würde daran denken, dass wir formell neue schweizerische Gesetze, Handelsverträge usw. gar nicht kennen können, weil man sie uns - wenigstens der Bank in Liechtenstein A.G. - von keiner Seite her bekannt gibt. Erst auf ein bezügliches Gesuch der Bank in Liechtenstein A.G. hin bekommen wir seit letzten Herbst einzelne Rundschreiben.

Was aber noch viel schwerwiegender ist, ist die Tatsache, dass die liechtensteinischen Bankinstitute in der Schweiz keine Rückfinanzierungsmöglichkeit haben. Ich habe vor zwei Jahren einmal rein privat in massgebenden Kreisen der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute sondiert, wie man sich zu einem Beitritt der liechtensteinischen Banken zu einer der beiden Pfandbriefzentralen stellen würde. Man hat mir aber sehr deutlich gesagt, dass das nicht möglich sei. Ich habe auch in Bern mit dem jetzigen Minister [Peter Anton] Feldscher, der damals die liechtensteinischen Angelegenheiten behandelt hat, eingehend darüber gesprochen. Ich habe es dann unterlassen, mit der massgebenden Stelle der Pfandbriefzentrale der Kantonalbanken zu verhandeln, weil man mir an den beiden vorgenannten Stellen erklärt hat, - soviel ich mich erinnere nach Sondierung bei diesen -, dass die Kantonalbanken ebenfalls ablehnen würden. Sie haben sich dabei auf das Gesetz gestützt, das nur schweizerische Hypotheken als Deckung für die Pfandbriefe vorsehe. Es besteht aber auch keine andere Rückfinanzierungsmöglichkeit, weder bei der Nationalbank noch bei der Darlehenskasse oder bei einer andern Institution. Die liechtensteinischen Banken sind also vollkommen auf sich selber angewiesen und müssen daher jederzeit eine sehr grosse Kassabereitschaft halten.

Sie sehen, sehr verehrter Herr Bundesrat, dass die Finanzinstitute des Fürstentums sich nicht einschliessen und die Sphinx gegenüber der Schweiz spielen wollen, sondern sie haben sich schon sehr darum beworben, als gleichwertige Institute in das schweizerische Bankwesen eingegliedert zu werden, wie dargetan ohne Erfolg. Ich betrachte es als eine Art Postulat beider Länder, dass namentlich in diesem letztgenannten Punkt einmal eine tragbare Lösung getroffen werden muss. - Zum Schluss gestatte ich mir die Bemerkung, dass ich diese Gedanken rein privat äussere. Ich habe weder mit der Landessparkasse noch mit der Regierung Fühlung genommen, noch werde ich diesen beiden Instanzen von meinem jetzigen Schreiben Kenntnis geben. [4]

Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Bundesrat, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung 

 

 

______________

[1] LI LA RF 264/211b. Die Akte ist als "streng vertraulich" gekennzeichnet. Eine Abschrift des Schreibens an Bundesrat Nobs wurde von Emil A. Schmid am 16. November 1945 an Regierungschef Alexander Frick übersandt.
[2] Es dürfte sich dabei um die Presta AG in Eschen handeln.  
[3] Vgl. etwa Ziff. 8 der Note der liechtensteinischen Regierung an das Eidgenössische Politische Departement vom 14. Juli 1940 (LI LA RF 180/103/028).
[4] Siehe jedoch FN 1.