Der preussische Justizminister ersucht die liechtensteinische Regierung um die Auslieferung von Fritz Schaie bzw. um die Aberkennung dessen liechtensteinischer Staatsbürgerschaft


Durchschlag des Schreibens der Deutschen Gesandtschaft an das Eidgenössische Politische Departement, nicht gez. [1]

24.5.1933, Bern

Wie das Auswärtige Amt in Berlin unter dem 19.d.M. mitteilt, legt der Herr Preussische Justizminister nach wie vor grossen Wert darauf, dass der deutsche Reichsangehörige Fritz Schaie, genannt Rotter, geboren am 3. September 1886 in Leipzig, zwecks Strafverfolgung an Deutschland ausgeliefert werde. Wie bekannt, hatten die liechtensteinischen Behörden seinerzeit das Nichteinschreiten gegen den Verfolgten wegen der ihm in Berlin zur Last gelegten Straftaten seinerzeit damit begründet, dass bisher seitens der deutschen Behörden ein Antrag auf Strafverfolgung bei den liechtensteinischen Behörden nicht gestellt worden sei. Von einem solchen Antrag ist Abstand genommen worden, weil wegen Verbindung der strafbaren Handlungen des Verfolgten mit Straftaten der Vorstände und Aufsichtspersonen der Schachtelgesellschaften und wegen der Art der Straftaten eine Aufklärung im einzelnen und eine Überführung des Täters nur am Tatorte möglich sein wird.

Seitens der deutschen Strafverfolgungsbehörde ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht der Erwerb der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit durch Fritz Schaie rückgängig gemacht und für diesen Fall die Auslieferung des Schaie aus Liechtenstein betrieben werden könnte. Das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust des liechtensteinischen Staatbürgerrechts vom 28. März 1864 [2] und das Ergänzungsgesetz vom 27. Juli 1920 [3] kennen eine Aberkennung der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit nicht. Dagegen ist in einem Einzelfalle (Reinhold Becker) die Verleihung der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit unter der aufschiebenden Bedingung der fristgemässen Vorlegung von Urkunden und Nachweisen ausgesprochen worden, obwohl die Möglichkeit einer bedingten Einbürgerung in dem liechtensteinischen Recht nicht vorgesehen ist. Es wäre daher möglich, dass auch im vorliegenden Falle eine solche Bedingung gestellt wurde und jetzt geprüft werden könnte, ob die Bedingung fristgemäss erfüllt und die Einbürgerung in Liechtenstein damit wirksam geworden ist. Jedenfalls kann Fritz Schaie den nach § 3 b des liechtensteinischen Gesetzes vom 28. März 1864 geforderten Nachweis über die bedingte Entlassung aus der Heimat, auf den allerdings nach Artikel 1 des Ergänzungsgesetzes vom 27. Juli 1920 verzichtet werden kann, nicht erbracht haben, da er wie oben bemerkt wurde, die deutsche Reichsangehörigkeit nicht verloren hat. Ausserdem wäre es wohl möglich, dass die Liechtensteinische Regierung aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen das Recht für sich herleitet, Einbürgerungen zu widerrufen, die unter falschen Angaben erschlichen worden sind, oder bei denen sie sich über wesentliche Eigenschaften des Eingebürgerten im Irrtum befunden hat. Mit solcher Möglichkeit wird umsomehr gerechnet werden können, als die Liechtensteinische Regierung sich offenbar durch ihre Gesetze nicht darin beschränkt fühlt, den staatlichen Hoheitsakt der Einbürgerung, der dem Fürsten vorbehalten ist, Kautelen der Verwaltung zu unterwerfen. Endlich käme auch in Betracht, dass die Liechtensteinische Regierung bei der bevorstehenden Revision des erwähnten Gesetzes einen Vorbehalt in das Gesetz aufnimmt, der sie ermächtigt, in geeigneten Fällen die Einbürgerung zu widerrufen. [4]

Erhaltenem Auftrage zufolge beehrt sich die Deutsche Gesandtschaft das Eidgenössische Politische Departement ergebenst zu bitten, in geeignet erscheinender Weise die Liechtensteinische Regierung über die Gründe zu verständigen, die die deutschen Behörden veranlasst haben, von dem Antrage auf Einleitung eines Strafverfahrens in Liechtenstein abzusehen und dabei um Prüfung der Frage zu ersuchen, ob nicht die Verleihung der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit an Fritz Schaie rückgängig gemacht werden kann.

Mit Rücksicht darauf, dass die Liechtensteinische Regierung selbst erklärt hat, Massnahmen treffen zu wollen, die den Erwerb der Liechtensteinischen Staatsangehörigkeit aus unlauteren Motiven ausschließen und dass sie bis zu einer entsprechenden Abänderung ihrer Einbürgerungsbestimmung die Vornahme neuer Einbürgerungen eingestellt hat [5], wird einstweilen davon abgesehen, bei ihr Einspruch einzulegen, dass sie Reichsangehörige, die ihren Wohnsitz nicht in Liechtenstein haben, einbürgert.

Indem die Deutsche Gesandtschaft einer sehr gefälligen Mitteilung über das Ergebnis der bei der Liechtensteinischen Regierung unternommenen Schritte ergebenst entgegensehen darf, benutzt sie auch diesen Anlaß zur erneuten Versicherung ihrer ausgezeichneten Hochachtung.

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[1] LI LA RF 131/409/103. Das Dokument trägt das Aktenzeichen B 589. Das Schreiben der Gesandtschaft wurde vom Eidgenössischen Politischen Departement am 27. Mai 1933 an die liechtensteinische Regierung weitergeleitet (LI LA RF 131/409/107).  
[2] LGBl. 1864 Nr. 3.
[3] LGBl. 1920 Nr. 9.
[4] Zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft siehe § 21 des Gesetzes vom 4. Jänner 1934 über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechtes, LGBl. 1934 Nr. 1.   
[5] Vgl. die Pressemitteilung der Regierung vom 13. April 1933 (LI LA RF 131/409/014).