Der Landtag genehmigt das Washingtoner Abkommen


Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, ungez. [1]

26.6.1946

Präsident [David Strub]: Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüsse die Herren Abgeordneten. Der Landtag hat sich heute versammelt, um endgültig zu dem Washingtoner-Abkommen Stellung zu nehmen. Wie ja alle wissen, hat die Schweiz auch in unserem Namen in Washington verhandelt und nachdem nun der schweiz. Nationalrat endgültig zu dem Abkommen Stellung genommen hat und dieses ratifiziert hat, liegt es nun an uns, uns endgültig über die Sache zu entscheiden. Ich möchte, bevor wir näher zur Angelegenheit Stellung beziehen, dieses Abkommen artikelweise vorlesen lassen.

Das Abkommen (Anhang) wird vom Schriftführer [Fidel Brunhart] vorgelesen. [2]

Sie haben nun den Text des Abkommens gehört. Wir haben hiezu schon verschiedentlich Stellung genommen. [3] Ich möchte daher den Gegenstand zur Discusion bringen.

Ers. Abg. [Oswald] Bühler: Nach § 5 des uns vorgelegten Abkommens haben die Vertreter der schweizerischen Regierung auch im Namen von Liechtenstein gehandelt. Nachdem nun die oberste Behörde der Schweiz diesem Abkommen zugestimmt hat, möchte ich der Zustimmung seitens des Landtages das Wort reden. Die schweren Bedenken der schweiz. Legislative sind sicherlich auch die unsrigen. Ich möchte aber auf die kaum übersehbaren Folgen im Falle der Ablehnung hinweisen und empfehle aus diesem Grunde das Abkommen zur Annahme.

Abg. Dr. [Alois] Ritter: Der liechtensteinische Landtag steht heute vor der Aufgabe, das von der schweizerischen Delegation auch in Vertretung des Landes Liechtenstein mit den alliierten Regierungen am 25. Mai d. J. in Washington geschlossene Abkommen gemäss Art. 8 der Verfassung zu ratifizieren. [4] Massgebend für unsere Entschliessung in dieser Frage ist weitgehend die Haltung der Schweiz, wie dies schon in der ganzen bisherigen Entwicklung der Angelegenheit der Fall gewesen ist. Als Zollvertragspartner der Schweiz sahen wir uns schon im vergangenen Jahr veranlasst, die schweizerischen Bundesratsbeschlüsse vom 16. Februar und vom 27. April 1945 betreffend den Zahlungsverkehr mit Deutschland und den Bundesratsbeschluss vom 29. Mai 1945 betreffend die Meldepflicht für deutsche Vermögen in der Schweiz in Liechtenstein für anwendbar zu erklären und die schweizerische Verrechnungsstelle, wenn auch unter möglichst weitgehender Wahrung unserer Souveränitätsrechte, mit der Durchführung der Beschlüsse zu betrauen. [5] Im Frühjahr dieses Jahres hat Liechtenstein sodann konsequenterweise die schweizerische Delegation, welche zu den Verhandlungen nach Washington reiste, bevollmächtigt, unser Land bei den Verhandlungen zu vertreten. [6]

Das Abkommen ist in den letzten Tagen Gegenstand eingehender Besprechungen in der schweizerischen Tagespresse gewesen. Sie kennen den Inhalt dieser Presseäusserungen zum grössten Teil und die begründeten Bedenken, welche in all diesen Artikeln zum Ausdruck kommen. Diese schweren Bedenken sind grundsätzlicher Art und bestehen vor allem darin, dass durch das Abkommen ein tiefgreifender Eingriff in das Privateigentum vorgenommen wird, sodass manche Zeitungen sogar von einer "Rechtsverwilderung" sprachen. Es ist kein Zweifel, dass wir durch die Ratifizierung dieses Abkommens rechtliches Neuland betreten und den bisherigen, verfassungsmässigen und internationalrechtlich anerkannten Rechtsboden verlassen. Die schweren grundsätzlichen Bedenken, die in der Schweiz geäussert wurden, gelten also in gleichem Masse auch für uns.

Der Engländer hat ein bekanntes Schlagwort: "Right or wrong, my country." D.h. ob Recht oder Unrecht, es ist mein Vaterland. Durch die Annahme des Abkommens stellen wir uns gewissermassen auf den Standpunkt dieser Sentenz, doch das vermag uns moralisch keineswegs zu befriedigen, ganz abgesehen davon, dass wir die volle Tragweite des Abkommens heute nicht zu übersehen vermögen. Andererseits wissen wir auch, dass wir durch eine evtl. Nichtannahme unabsehbare Folgen der Gefahren für unser Land heraufbeschwören könnten, denn unser Land ist nur ein Zwerg unter den mächtigen Staaten dieser Erde.

Das Abkommen hat für uns zwei Seiten: 1. das Verhältnis zu den Alliierten, 2. das Verhältnis zur Schweiz. Das erstere vermögen wir noch nicht zu übersehen, weil uns bisher die Aufstellungen über die erfolgten Anmeldungen etc. fehlen. Bezüglich des letzteren sind wir bis heute wenigstens dahin unterrichtet, dass Liechtenstein von der Verpflichtung einer Abgabe in Gold an die Alliierten gemäss Art. II, Ziff. 2 befreit ist und dass andererseits deutsche Vermögenswerte, welche in Liechtenstein liquidiert werden sollen, zur Hälfte den Alliierten und zur anderen Hälfte der liechtensteinischen Regierung zufallen sollen. [7] Verschiedene andere Fragen, deren Kenntnis wertvoll gewesen wäre, sind indessen noch offen.

Wenn der liechtensteinische Landtag heute das Abkommen trotz schwerster Bedenken ratifiziert, so folgt er damit dem schweizerischen Beispiel. In den eidgenössischen Räten wird das Abkommen zur Stunde ebenfalls behandelt und der schweizerische Nationalrat hat heute vormittag bereits die Ratifikation ausgesprochen. Das ist für uns entscheidend. Auch für uns ist die Ratifizierung deshalb zu einer Staatsnotwendigkeit geworden. Der Not gehorchend, d.h. also rechtlich gesprochen, gewissermassen aus einem Notstande heraus, wird der Landtag seine Zustimmung erteilen müssen.

Reg. Chef[Alexander Frick]: Es ist vor allem für unser kleines Land schwer, einem Abkommen zuzustimmen, das mit den bisher hochgehaltenen Rechtsgrundsätzen nicht ganz in Einklang gebracht werden kann. Die Schwere dieser Bedenken ist nicht nur in unserem Landtage reichlich erörtert worden, sondern ist auch besonders im schweizerischen Nationalrate in den verschiedensten Varianten zum Ausdruck gekommen. Trotzdem hat heute der schweizerische Nationalrat das Abkommen mit einem sehr grossen Mehr ratifiziert (140 Stimmen gegen 29 Stimmen).

Ich glaube, es wird diesbezüglich Liechtenstein nicht möglich sein, erfolgreich einen anderen Weg zu gehen, als es die Schweiz getan hat. Es ist der Regierung nicht möglich, alle Folgen einer eventuellen Ablehnung des Abkommens durch den Landtag vorauszusehen.

Präsident: Hat noch einer der Herren eine Äusserung zu machen? Wenn nicht lasse ich die Abstimmung vornehmen. Ich frage:

Wer ist dafür, dass auch Liechtenstein diesem vorgelesenen Abkommen seine Zustimmung erteilt, der möge es durch Aufheben der Hand bezeugen.

Abstimmungsergebnis:

12 Stimmen dafür, 1 Stimme dagegen, bei 2 Stimmenenthaltungen.

Präsident: Ich danke den Herren Abgeordneten bestens für die Annahme. Ich bin überzeugt, dass sich jeder von Ihnen der Schwere dieses Schrittes voll bewusst ist, aber es ist selbstverständlich der einzig gegebene Weg gewesen, der bereits von den Vorrednern geschildert wurde.

Da wir weitere Traktanden für heute nicht vorliegen haben, schliesse ich die Sitzung.

 

______________

[1] LI LA LTP 1946/083.
[2] Das Abkommen fehlt in LI LA LTP 1946. Im Washingtoner Abkommen vom 25.5.1946 wurde die Liquidation deutscher Vermögenswerte in der Schweiz sowie die Frage des Goldes, das die Schweizerische Nationalbank von der Deutschen Reichsbank übernommen hatte, geregelt. Zum Vertragstext vgl. dodis.ch/1725
[3] Der Landtag befasste sich bereits in den nichtöffentlichen Sitzungen vom 14.6. (LI LA LTP 1946/040), 25.6. (LI LA LTP 1946/073) und 26.6.1946 (LI LA LTP 1946/079) mit dem Washingtoner Abkommen.
[4] Art. 8, Abs. 2 der Verfassung legt fest, dass "Staatsverträge, durch die Staatsgebiet abgetreten oder Staatseigentum veräussert, über Staatshoheitsrechte oder Staatsregale verfügt, eine neue Last auf das Fürstentum oder seine Angehörigen übernommen oder eine Verpflichtung, durch die den Rechten der Landesangehörigen Eintrag getan würde", zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Landtags bedürfen (LGBl. 1921 Nr. 15).
[5] Zur Übernahme der schweizerischen Regelungen durch Liechtenstein vgl. LI LA RF 229/419/008, zur Durchführung der Untersuchungen durch die Schweizerische Verrechnungsstelle vgl. LI LA V 143/0253 (c), Bundesrat Max Petitpierre an Prinz Heinrich, liechtensteinischer Geschäftsträger in Bern, 7.2.1946.
[6] LI LA V 143/0253; LI LA RF 231/52l/II.
[7] Vgl. LI LA LTP 1946/079.