Liechtenstein und die Schweiz verhandeln über den Schutz der liechtensteinisch-österreichischen Grenze


Protokoll der liechtensteinisch-schweizerischen Konferenz im Eidgenössischen Politischen Departement, ungez. [1]

16.3.1938

Konferenz

zur Besprechung der Frage des Schutzes der liechtensteinisch-österreichischen Grenze auf dem Eidgenössischen Politischen Departement, 16. März 1938, 9.30 Uhr

Anwesend: auf liechtensteinischer Seite:

Herr Dr. J. [Josef] Hoop, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein

Herr A. [Anton] Frommelt, Stellvertreter des Regierungschefs und Landtagspräsident.

auf schweizerischer Seite:

Herr Minister Dr. [Hans] Frölicher, Politisches Departement

Herr Dr. [Peter Anton] Feldscher, Politisches Departement

Herr Oberstdivisionär [Jakob] Huber, Militärdepartement

Herr Oberstleutnant [Hans] Frick, Militärdepartement

Herr Oberzolldirektor [Arnold] Gassmann, Zolldepartement

Herr Dr. [Oskar] Wyss, Zolldepartement

Herr Dr. [Heinrich] Rothmund, Chef der Polizeiabteilung.

Die liechtensteinischen Vertreter führen aus, dass die liechtensteinische Bevölkerung sich in ihrer besonnenen ruhigen Haltung durch die Ereignisse in Österreich nicht habe beeinflussen lassen. Der Landtag habe in seiner gestrigen Sitzung sich einmütig zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit des Landes und der Zollgemeinschaft mit der Schweiz bekannt. [2] Die etwas reservierte persönliche Stellungnahme des Präsidenten der Oppositionspartei, Dr.med. [Otto] Schaedler, die auf blosse parteitaktische Erwägungen zurückgehe, beeinträchtige das geschlossene Bild dieser Kundgebung kaum. Im Volk sympathisieren höchstens einige wenige jugendliche Elemente mit der national-sozialistischen Bewegung, und irgendwelche politische Bedeutung komme den Äusserungen dieser Leute nicht zu. Eine gewisse Gefahr könnte sich höchstens dann ergeben, wenn ein wirtschaftlicher Aufschwung in Vorarlberg, der namentlich als Folge einer starken Zunahme des Reiseverkehrs erwartet werde, Rückwirkungen in den Reihen der liechtensteinischen Arbeitslosen ausüben würde und eine gewisse Infiltration national-sozialistischer Ideen im Fürstentum zur Folge hätte. Das Land habe in den letzten Jahren zur Behebung der Arbeitslosigkeit grosse Summen ausgegeben, und es könne bei Rückgang der Einnahmenquellen fraglich erscheinen, ob es weiterhin diese Aufwendungen zu machen in der Lage wäre.

Von der schweizerischen Seite wird auf die Notwendigkeit des militärischen und polizeilichen Schutzes zur Sicherung der Grenze hingewiesen. Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern des Fürstentums sei unumgänglich als Rückendeckung für den schweizerischen Grenzschutz, und hiefür müssten die liechtensteinischen Behörden Sorge tragen. Wenn die Sicherheit der Schweizer Grenzwache und ihrer Angehörigen in Liechtenstein bedroht wäre, so müsste an eine Zurückziehung des Schweizer Zollkordons an die schweizerisch-liechtensteinische Rheingrenze gedacht werden. Die von der liechtensteinischen Regierung am 11. März d.J. gewünschte Verstärkung des Schweizer Grenzschutzes konnte nicht durch militärische Formationen durchgeführt werden, solang das Besetzungsrecht liechtensteinischen Gebiets durch schweizerische Truppen zwischenstaatlich nicht anerkannt ist. Man hätte in einer solchen Besetzung eine Verletzung der Neutralitätspflichten durch die Schweiz erblicken können, und deshalb musste man sich auf eine Verstärkung der Grenzwache durch Zollorgane beschränken.

In diesem Zusammenhang wurde betont, dass die Frage der Einbeziehung Liechtensteins in die schweizerische Neutralität und diejenige des militärischen Schutzes der liechtensteinischen Neutralität einer baldigen Abklärung bedürfe, um jegliche Unsicherheit für die Zukunft zu beseitigen. [3]

Von der liechtensteinischen Seite wird erklärt, dass Liechtenstein seine Polizeimannschaft bis auf einen Bestand von 27 Mann erhöhen könnte und erforderlichenfalls bereit sei, das gesamte Corps aufzubieten. Die Einbeziehung des Fürstentums in die schweizerische Neutralität wäre zu begrüssen, hingegen müsse die Frage des Besetzungsrechts durch schweizerische Truppen noch geprüft werden.

Von der schweizerischen Seite wird festgestellt, dass an den Instruktionen für die Zollorgane betreffend Waffengebrauch nichts geändert werden soll. Eine Gefahr der Überflutung Liechtensteins durch mittellose Flüchtlinge erscheint ausgeschlossen, da angenommen werden darf, dass die deutschen Behörden von sich aus, oder auf Ansuchen der Schweiz hin für die Aufrechterhaltung der Ordnung in Vorarlberg Sorge tragen werden. Anschliessend daran wird auf gewisse Missstände und Unstimmigkeiten sowohl in der Handhabung der Fremdenpolizei durch liechtensteinische Organe als auf dem Gebiete der liechtensteinischen Einbürgerungspraxis aufmerksam gemacht.

Von liechtensteinischer Seite wird Aufschluss gegeben über die beanstandeten Vorkommnisse und mitgeteilt, dass alle Einbürgerungen sistiert worden seien.

Es wird beidseitig die Wünschbarkeit anerkannt, dass in Angelegenheiten fremdenpolizeilicher und anderer Art eine bessere Zusammenarbeit Platz greifen müsse. Es sollten in absehbarer Zeit Besprechungen zur Regelung solcher Fragen aufgenommen werden.

Von schweizerischer Seite wird zugesichert, dass die Unterbringung von liechtensteinischen Arbeitslosen in der Schweiz, besonders im Baugewerbe, wohlwollend geprüft wird und dass liechtensteinische Arbeitsuchende jedenfalls vor allen anderen Ausländern berücksichtigt werden.

Zum Schluss wird noch die Frage der Errichtung eines Rundspruchsenders in Liechtenstein besprochen, auf dessen Zulassung von der Fürstlichen Regierung besonderes Gewicht gelegt wird, da für das Land damit eine sofortige Einnahme von Fr. 100'000 verbunden wäre. Die Konzessionsbewerber erklären, dass sie sich allen schweizerischen Vorschriften unterziehen und auf eine Rendite des Betriebes bis auf weiteres nicht zählen. Von schweizerischer Seite wird noch die Abklärung verschiedener Punkte als wünschenswert bezeichnet. [4]

Schluss der Sitzung 12.15 Uhr.

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[1] LI LA RF 179/130/022-025. Das Dokument ist ediert in DDS, Bd. 12, Nr. 241, Anhang.
[2] Nicht-öffentliches Landtagsprotokoll vom 15.3.1938 (LI LA LTP 1938/010).
[3] Zu den militärischen Überlegungen der Schweiz vgl. DDS, Bd. 12, Nr. 243.
[4] Vgl. die Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Regierung vom 3.3.1939 betreffend die Konzessionierung von Rundspruchsendeanlagen im Fürstentum (LI LA RF 166/073/009/046).