Die Volkspartei und der Liechtensteiner Heimatdienst lancieren eine Initiative zur Einführung des Verhältniswahlrechts und einer berufsständischen Ordnung


Initiativbegehrenzuhanden der Regierung [1]

11.2.1935

Die unterzeichneten Bürger der Gemeinde ... stellen hiemit gemäss den Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten folgendes formuliertes Sammel-Initiativbegehren [2]:

Die Verfassung (samt Nachträgen) wird abgeändert und ergänzt:

I.

Art. 46. Der Landtag besteht aus fünfzehn, durch allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Stimmrecht nach dem Verhältniswahlrecht im ganzen Lande als einem Wahlkreise gewählten Abgeordneten mit der Massgabe, dass auf das Unterland sechs und auf das Oberland neun Abgeordnete zu entfallen haben, wobei mangels anderer Bestimmung des Gesetzes eine Gemeinde mit mindestens dreihundert Einwohnern durch einen ihrer Bürger im Landtage vertreten sein muss.

Es kann statt des Landtages oder neben ihm durch Gesetz eine Vertretung des Volkes nach berufständischer Ordnung der Wähler unter gerechter Rücksichtnahme auf beide Landschaften und auf die Zahl der Wähler der einzelnen Berufsstände so eingeführt werden, dass die Angelegenheiten, in denen die ständische Vertretung nur beratend oder in denen sie auch beschliesend auftritt, näher umschrieben werden können.

II.

Art. 114 (Zusatz). Dieses Gesetz tritt mit der Verkündigung sofort in Kraft, alle widersprechenden Bestimmungen der Verfassung sind abgeändert bezw. aufgehoben. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an ist der Landtag aufgelöst und für eine neue Amtsdauer von vier Jahren nach dem Verhältniswahlrechte innert acht Wochen zu bestellen und einzuberufen.

Wenn nicht gleichzeitig mit diesem Gesetz ein Ausführungsgesetz zum Verhältniswahlrecht gemäss Art. 46 dringlich erlassen wird, hat statt dessen die Regierung, und falls sie es aus irgend einem Grunde innert vierzehn Tagen nach Inkrafttreten des Verfassungsgesetzes unterlassen sollte, der Staatsgerichtshof sofort innerhalb 14 Tagen eine Verordnung mit Rechtskraft über die Durchführung der Verhältniswahl zu erlassen und zu verkünden, die später durch ein Gesetz ersetzt werden muss.

Das Ausführungsgesetz bezw. die Verordnung muss folgende Grundsätze enthalten:

a) dass eine Liste zur Vermeidung von Zersplitterungen mindestens 200 gültig abgegebene Stimmen auf sich vereinigen muss, widrigenfalls sie bei Ermittlung des Wahlergebnisses ausser Betracht bleibt,

b) dass neben den Wahlkandidaten auch Ersatzkandidaten zur Wahl für die aus irgend einem Grunde wegfallenden Abgeordneten aufgestellt werden können,

c) dass mangels Vorliegens eines Wahlvorschlages und daher auch einer Liste der zu wählenden Kandidaten jene Wahlfähigen als gewählt gelten, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen,

d) dass, wenn in einer Gemeinde über 300 Einwohnern nur ein Kandidat vorgeschlagen wird, dieser ohne weiteres als gewählt zu betrachten ist; ferner dass, wenn im ganzen nur soviele Kandidaten vorgeschlagen sind, als Mandate vergeben werden können, diese als gewählt zu betrachten sind, sofern dabei auch die Gemeinden entsprechende Berücksichtigung erfahren,

e) dass bei Wahlen persönliche Angriffe auf die in den Wahlvorschlägen enthaltenen Kandidaten verboten sind,

f) dass allfällige Restmandate denjenigen Listen zugeteilt werden, welche die grössten Stimmreste aufweisen.

Begründung:

Die gegenwärtige Initiative ist aus der Erwägung heraus entsprungen, die politischen Zustände unter Ausschaltung des Persönlichen, im Lande zu befrieden, alle Bevölkerungskreise zu einer gerechten Anteilnahme an den Geschicken des Landes heranzuziehen und sie ihnen zu garantieren. Alle sollen mithelfen, am gesunden Aufbau der Heimat und allen soll es ermöglich werden. Dem Gedanken der berufsständischen Ordnung will die Initiative die verfassungsmässige Grundlage schaffen, damit er nach erforderlichen Vorarbeiten im geeigneten Zeitpunkte und im Sinne neuzeitlicher Anregungen, nicht zuletzt nach den Anregungen des Hl. Vaters verwirklicht werden kann. Wir ersuchen Regierung und Landtag um rascheste Behandlung. Das Land als ein Wahlkreis ermöglicht es am besten, dass tunlichst wenig Stimmen als Minderheiten unberücksichtigt bleiben. Das ganze Land - klein wie es ist - ist im Verhältnis zu Wahlkreisen in andern Ländern ein recht kleiner Wahlkreis, wo die Stimmberechtigten sich mehr oder weniger stets ein zutreffendes Bild über den zu Wählenden machen können. Die Initianten erwarten von der Regierung den Erlass der für unser Land geeignetsten Ausführungsbestimmungen für ein tunlichst alle Kreise befriedigendes Verhältniswahlrecht. Dieses kann nach dem Entwurf selber wieder durch ein Wahlrecht in Verbindung mit einer berufsständischen Ordnung mit der Zeit ersetzt werden. Es kann auch neben dem Landtag ein Wirtschaftsrat oder Ähnliches für besondere Pflege des Wirtschaftslebens eingeführt werden. Die Gefahr wegen Mangels einer regierungsfähigen Mehrheit besteht hierlands nicht, da eben friedlich gemeinsam zusammengearbeitet werden soll. Nötigenfalls finden sich ohne Schwierigkeit immer Mittel. Die Begründung ergibt sich übrigens aus dem Vorschlage.

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[1] LI LA RF 152/323/002/001. Als Initianten zeichnen Florian Kindle, Triesen, Anton Schädler, Balzers, No. 271, Alois Frick, Mäls, No. 70, Albert Matt, Mauren, No. 114, Georg Matt, Mauren, Konrad Wohlwend, Schellenberg, Wendelin Beck, Triesenberg, No. 197, Rupert Quaderer, Schaan, Pius Schädler, Triesenberg, No. 179, Egon Rheinberger, Gutenberg, Gebhard Banzer, Triesen, No. 224, Franz Amann, Vaduz, Alois Ospelt, jun., Vaduz, No. 231, Josef Marxer, Eschen No. 107 neu, Julius Wanger, Eschen, Alfons Büchel, Gamprin, Adolf Kind, Ruggell und Andreas Beck, Triesenberg, No. 233.   
[2] Die Verfassungsinitiative wurde vom Landtag am 9. Mai 1935 mehrheitlich abgelehnt und am 30. Mai 1935 vom Volk verworfen. Vgl. die Botschaft des Landtages an die Wähler vom 24. Mai 1935 (LI LA RF 152/323/002/036g).