Die "Liechtensteiner Nachrichten" rufen zur Unterzeichnung des gegen das Pressegesetz ergriffenen Referendums auf


Artikel in den "Liechtensteiner Nachrichten" [1]

20.9.1930

Einladung zur Unterzeichnung der Referendumsbögen betr. Pressegesetz

Von heute an liegen bei den oberländischen Gemeinde-Vorstehungen die Referendums–Bögen zur Beisetzung der Unterschriften auf. Tatsächlich ist in Liechtenstein das Bedürfnis nach einer Regelung der Rechte und Pflichten der Presse in reichlichem Masse vorhanden. Man ist auf der ganzen Linie auch mit der Androhung scharfer Strafen einverstanden und es soll wirklich ein Pressegesetz geschaffen werden. Aber mit dem vom Landtage am 9. Juli beschlossenen Gesetze [2], insbesondere mit Artikel 36 und da speziell mit der Mindeststrafe von 30 Tagen Arrest für ein unbedachtes Wort, kann ein freier Liechtensteiner nicht einig gehen.

Das heute zur Diskussion stehende Gesetz würde sich ganz anders, nämlich katastrophaler, auswirken, als es manche Bürger, die gerne ein offenes Wort reden, bisher ahnen. Was kann nicht alles unter den Begriff eingereiht werden: Schmälerung der Autorität einer Landesbehörde! Wenn beispielsweise ein Mann bei Gericht einen Prozess verliert und nachher in begreiflicher Aufregung seinem Ärger Luft macht und wenn dabei ein zu kräftiges Wort fällt, wie man es fast täglich hören kann; wenn ein anderer Mann mit der Landesschulbehörde wegen seines Kindes Differenzen hat u. in diesem Zusammenhange von seinem in der Verfassung gewährleisteten Recht, durch das "Wort seine Meinung frei zu äussern", Gebrauch macht, aber am Sonntag Abend bei seinem Viertel ein Wörtchen zu viel sagt; wenn ein dritter Mann von der Regierung etwas will, auf das er glaubt, Anspruch zu haben, es jedoch nicht erhält und dann halt daheim vor "mehreren Leuten", darunter auch der ihn nachher anzeigende liebe Nachbar, anständig loszieht, dann bekommen diese drei Männer, vielleicht sind es sogar lauter Neutrale oder halbe Bürgerparteiler, dreissig Tage Arrest!! Sie waren noch nie vorbestraft, sind fleissig und rechtschaffen, stehen ev. schon im vorgerücktem Alter, sind in Ehren grau geworden und jetzt werden sie geholt, geholt in das Gefängnis und ihre erwachsenen Söhne schauen ihnen nach!

Deshalb, freier Liechtensteiner, Steuerträger, Bauer, Arbeiter, Gewerbetreibender, ob du bei der Bürgerpartei oder Volkspartei oder ein Neutraler seiest: Gehe zum Vorsteher und zeige, dass du das freie Wort verteidigst, fussend auf dem Grundsatze: Wenn ich Steuer bezahle, will ich auch meine Meinung frei äussern. Sagt doch der grosse Engländer Cromwell:

"Eine Regierung, die nicht mal einen Papierschuss verträgt, ist keinen Schuss Pulver wert!" [3]      

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[1] L.Na., Nr. 106, 20.9.1930, S. 1.   
[2] LI LA LTP 1930/143.  
[3] Das Gesetz, gegen das die Volkspartei das Referendum ergriffen hatte, wurde vom Volk am 26.10.1930 mit 1005 Ja-Stimmen zu 1008 Nein-Stimmen verworfen.