Der Akademikerverband fordert die Schliessung des Collegiums Marianum


Schreiben des Liechtensteinischen Akademikerverbands, gez. Alfons Goop, Friedrich Ritter, Rudolf Rheinberger, Walter Hartmann, Martin Hilti, Paul Ott, Rupert Ritter, Sepp Ritter, Martin Risch, Hermann Walser, Richard Meier, Werner Hilti, Hans Rheinberger, Hermann Risch und Edwin Heeb, an die Regierung [1]

4.1.1940, Vaduz

Der Liechtensteinische Akademikerverband erlaubt sich in Wahrnehmung der Interessen der liechtensteinischen Akademiker, die hohe fürstliche Regierung auf die Überentwicklung des Mittelschulstudiums in Liechtenstein hinzuweisen. Im Interesse des ganzen liechtensteinischen Volkes sowie der Akademiker, nicht zuletzt aber im ureigensten Interesse der Mittelschulstudenten selbst, ersucht der Liechtensteinische Akademikerverband die hohe fürstliche Regierung, die Lage zu prüfen und in irgendeiner Form der genannten Fehlentwicklung entgegenzuwirken.

Das höhere Unterrichtswesen wird in Liechtenstein derzeit durch zwei Staatsschulen und zwei Privatgymnasien betreut. Die Staatsschulen haben nach ihrem gesetzlich vorgeschriebenen Ziele eine allgemeine Fortbildung, die sowohl für jeden praktischen Beruf als auch für ein Weiterstudium die nötigen Grundlagen schaffen soll, zur Aufgabe.

Neben diesen Staatsschulen bestehen seit einigen Jahren zwei Privatgymnasien, von denen das eine nur Schüler, die sich auf den geistlichen Beruf vorbereiten wollen, aufnimmt, [2] während das zweite, das Collegium Marianum in Vaduz, sich als eine für jeden zugängliche Handels- und Mittelschule betätigt. Es hat sich nun herausgestellt, dass das letzterwähnte Institut einen relativ sehr geringen Prozentsatz auswärtiger Schüler aus dem Auslande hat, dass vielmehr im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen, dasselbe von Inländern in einer geradezu erschreckenden Anzahl besucht wird.

Liechtenstein aber bietet, wie bekannt, nur ein sehr beschränktes Feld für die Betätigung akademischer Kräfte, und das Ausland sperrt sich nach den bisherigen Erfahrungen gerade gegen hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Auslande immer mehr ab. Nun ist aber nach Ansicht des Liechtensteinischen Akademikerverbandes heute schon jeder akademische Beruf – abgesehen von der Theologie – soweit vertreten, dass ein zahlenmässiges Ansteigen der Berufe sich schon bedenklich auswirken muss. Ferner ist zu bedenken, dass auch auf den Hochschulen und Universitäten des Auslandes eine ganze Reihe junger Liechtensteiner sich auf akademische Berufe vorbereiten. Dazu kommt noch, dass zahlreiche Akademiker durch Einbürgerung das liechtensteinische Staatsbürgerrecht erworben haben und ebenfalls rechtlich in der Lage sind, ihren Beruf hier auszuüben.

Nach einfachen Überlegungen kann gesagt werden, dass fast für 30 Jahre hinaus der Berufsbedarf heute schon gedeckt ist. Neben dem Schaden, der dem Lande und der Akademikerschaft im allgemeinen entsteht, werden aber auch viele junge Leute auf eine Bahn geführt, auf der sie später unmöglich trotz grosser und grösster finanzieller Opfer von seiten ihrer Angehörigen ein rechtes Auskommen werden finden können, was zu schweren sozialen und politischen Erschütterungen führen könnte.

Schliesslich wird auch der Bestand der Staatsschulen, wie sich bereits praktisch durch eine rapide Abnahme der Schülerzahl zeigt, [3] geradezu gefährdet. Es wäre bei dieser Fortentwicklung zu fürchten, dass bei der ständigen Abnahme der Schülerzahl an eine Fortentwicklung und einen Ausbau der Realschulen nicht gedacht werden könnte, sondern sogar in Krisenzeiten an eine Ersparnis in der Lehrmittelbereitstellung oder gar an einen Abbau von Lehrkräften gedacht werden könnte, was natürlich die Schulen um ihre bisherige Leistungsfähigkeit bringen müsste. Die Endentwicklung wäre, ganz nüchtern gesehen, eine Sistierung der Schulen auf Kosten einer ausländischen Mittelschule.

Um dieser Entwicklung früh genug, aber doch schon in dringender Zeit entgegenzutreten, bittet der Liechtensteinische Akademikerverband die hohe fürstliche Regierung um Erfüllung folgender Forderungen:

  1. Der ausländischen Lehranstalt Collegium Marianum wird von der Regierung nahe gelegt, ihre Tätigkeit in einen anderen Staat zu verlegen.
  2. Bis diese Verlegung möglich ist, wird das Collegium Marianum verpflichtet, ab Frühjahr 1940 sowohl für die Handelschule als auch das Gymnasium nur noch interne Schüler zu führen.
  3. Die Regierung möge in Zusammenarbeit mit dem Landesschulrate für eine gediegene Lösung und die Existenzmöglichkeit der liechtensteinischen Realschulen besorgt sein.

In der Erwartung, dass die Hohe fürstliche Regierung der Wichtigkeit und Dringlichkeit der Eingabe entsprechend die notwendigen Vorkehrungen treffen möge,

zeichnen mit aller Hochachtung die Mitglieder des Liechtensteinischen Akademikerverbandes.

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[1] LI LA RF 195/415/001/006-008.
[2] Die Salettinerpatres betrieben 1935-1939 ein Progymnasium auf Gutenberg, das auf den Besuch des Gymnasiums Untere Waid in Mörschwil (Kt. SG) vorbereitete.
[3] Tatsächlich wurden die staatlichen Realschulen, v.a. die Landesschule in Vaduz, durch das Collegium Marianum konkurrenziert. Im Schuljahr 1936/37, unmittelbar vor der Eröffnung des Marianums, zählte die Landesschule 78 Schülerinnen und Schüler, die Sekundarschule Eschen 25 (Rech.ber. 1936, S. 63). Ein Jahr später waren es nur noch 59 Schülerinnen und Schüler in Vaduz und 27 in Eschen (Rech.ber. 1937, S. 61), 1939/40 dann 60 in Vaduz und 27 in Eschen (Rech.ber. 1940, S. 62). Zu den Schülerzahlen am Marianum vgl. LI LA RF 195/415/001/009-016.