Der Maristen-Schulbruder Augustin Knapp übersendet der Regierung die Richtlinien für das in Vaduz zu gründende Collegium Marianum


Richtlinien der Maristen-Schulbrüder betreffend das Collegium Marianum in Vaduz, nicht gez. [1]

o.D. (9.6.1937)

Kurze Richtlinien

1. Das Lehr-Institut für fremde Sprachen,

2. Das Realgymnasium,

3. Die Handelsabteilung.

Organisation

Das Kollegium wird von Maristen-Brüdern geleitet. Es umfasst die obengenannten 3 Abteilungen.

ad 1) Die Sprachenkurse

Grundlage ist die deutsche Sprache. Fremdsprachige Schüler werden auf dem raschesten Wege in die deutsche Sprache eingeführt. Keine Aufnahmeprüfung. Der Kurs dauert 6 Monate und kann auf ein Jahr ausgedehnt werden. Er ist zugleich Vorbereitungskurs für den Eintritt in das Realgymnasium.

ad 2) Das Realgymnasium

Das Realgymnasium mit 8 Jahresklassen unterrichtet in einer alten Sprache, Latein. Griechisch ist fakultativ. Neben den modernen Sprachen wird wissenschaftlicher Unterricht erteilt. Er ist im Lehrplan eingehend erörtert.

Der Eintritt erfolgt nach der 6. Primarschule im Alter von 12 Jahren und wird abhängig gemacht von der Aufnahmeprüfung und einer 6 monatl. Probezeit. Nach der deutschen Muttersprache sind die französische und englische Sprache obligatorisch. Italienisch u. Spanisch sind Wahlfächer.

Ausnahmsweise können auch Schüler, die die 5. Klasse der Primarschule mit gutem Erfolg absolviert haben u. die sich durch die Aufnahmeprüfung über die erforderliche Kenntnisse ausgewiesen haben, in das Realgymnasium aufgenommen werden. Wer bereits gute Sekundarschulbildung hat u. über genügend Lateinkenntnisse verfügt, kann nach einer bestanden Prüfung in eine höhere Klasse aufsteigen.

Die Aufnahmeprüfung besteht aus einer schriftlichen und mündlichen Prüfung aus der deutschen Sprache und dem Rechnen. Der Prüfungsstoff wird aus dem Lehrziel der 5. und 6. Klasse der Grundschule genommen. Geläufiges und sinnrichtiges Lesen, Wiedergabe des Gelesenen, der erweiterte einfache Satz, sämtliche Redeteile. Schriftliche Wiedergabe kurzer Lesestücke, Beschreibungen, Briefe etc.

Im Rechnen wird geprüft über die vier Grundrechungsarten mit ganzen Zahlen und in Dezimalen, im Rechnen mit mehrnamigen Zahlen und mit vorkommenden gemeinen Brüchen.

ad 3) Die Handelsabteilung

Die Angliederung der Handelsabteilung an die Lehranstalt dürfte in den besonderen Bedürfnissen und Verhältnissen der Gegenwart genügend begründet liegen.

Die theoretischen Ausbildungsgelegenheiten bieten handelswissenschaftliche Kurse, die den Anschluss an die kaufmännische Praxis vermitteln wollen.

Eintritt erfolgt:

1. wenn der Schüler 2 Jahre Sekundarschule und 3 Jahre Realgymnasium oder

2. im ganzen 5 Jahre Realgymnasium mit gutem Erfolg besucht hat.

Schüler, die nach dem 5. Jahr Realgymnasium in die Handelsabteilung übertreten, sind von einer Aufnahmeprüfung in diese entbunden. Schüler dagegen, die nur 2 Jahre Sekundarschule und drei Jahre Realgymnasium haben, müssen eine Aufnahmeprüfung machen.

Für die Aufnahme in die Handelsabteilung wird mindestens das 15. Lebensjahr gefordert. Sie haben folgenden Anforderungen Genüge zu leisten:

Deutsch: Geläufiges und ausdrucksvolles Lesen der Druck- u. Handschrift; Angabe des Inhaltes und Gedankenganges von Lesestücken; Rechtschreibung auch der wichtigsten Fremdwörter; Satzzeichenlehre, Zergliederung des einfachen Satzes.

Rechnen: Die vier Grundrechenarten mit ganzen u. gebrochenen, benannten und unbenannten Zahlen u. in Dezimalen, Rechnen mit mehrnamigen Zahlen; Teilbarkeit der Zahlen, Verwandlung der gemeinen Brüche in Dezimalbrüche und umgekehrt.

Erdkunde: Das Wichtigste über Europa u. die übrigen Weltteile; Heimatkunde.

Lehrgegenstände der Handelsabteilung sind: Deutsch, Französisch, Englisch (Italienisch u. Spanisch Wahlfächer), kfm. Rechnen, Handels- und Wechselkunde, die verschiedenen Systeme der Buchhaltung und die Handelskorrespondenz, Warenkunde, Geographie, Stenographie, Maschinenschreiben u. Bürgerkunde.

Fächer allgemeiner Bildung sind: Religion, Geschichte, Algebra, Geometrie, Physik, Chemie, Naturlehre.

In allen drei Abteilungen legt die Leitung des Lehrinstitutes Wert darauf, jedem jungen Menschen in allen neuzeitlichen Anforderungen entgegenzukommen, den Unterricht anregend und bildend zu gestalten und ihm reichliche Möglichkeiten zu bieten, sich überdies noch in den schönen Künsten der Musik (Klavier, Violine, Blasinstr. etc.), sowie im Zeichnen und Modellieren auszubilden. Nicht zu letzt wird auf die Pflege der Leibesübungen u. körperlicher Ertüchtigung in Sport und Turnen gesehen.

Die Direktion will bei der Errichtung des geplanten Lehrinstitutes insbesondere den religiös-sittlichen Standpunkt hervorheben. Auf Charakterbildung und Familiensinn wird ebenso grosser Wert gelegt. Zucht und Ordnung und gewissenhafte Pflichterfüllung, Ernst und Fleiss im Studium, Freundlichkeit im Umgang, Sonnigkeit und Fröhlichkeit bei Spiel und Sport sollen den echten Geist kennzeichnen.

Allen Schülern soll eine gediegene katholische Erziehung gegeben werden. Dabei ist nicht beabsichtigt, Andersgläubige vom Unterricht auszuschliessen. Unsere Glaubensgenossen werden dabei aber eine besondere Luft atmen.

Religiosität ist das Fundament jeder gediegenen Erziehung und das beste Unterpfand eines erfolgsicheren Unterrichts. Sie sollen zu Männern mit katholischer Grundhaltung und Lebenseinstellung erzogen werden. Die Soziallehren der Päpste sind hierbei Grundsatz und Richtschnur.

 

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[1] LI LA RF 172/154/004. Die Richtlinien wurden der Regierung (zuhanden von Regierungschef-Stellvertreter Anton Frommelt) mit Schreiben von Augustin Knapp vom 9. Juni 1937 zugesandt. Vgl. auch das Gesuch der deutschen Maristen-Schulbrüder vom 4. Juni 1937 an die Regierung betreffend Niederlassung in Liechtenstein bzw. Führung einer höheren Schule in Vaduz (LI LA RF 172/154/001).