Die Regierung teilt mit, dass diejenigen Arbeiter, die die Arbeitsplätze am Oberalppass verlassen haben, von den Notstandsarbeiten ausgeschlossen werden


Mitteilung der Regierung im "Liechtensteiner Volksblatt", ungez. [1]

31.8.1940

Mitgeteilt der Regierung

Am Montag, den 19. August begaben sich ca. 80 liechtensteinische Arbeiter auf den Oberalppass an die dortigen Arbeitsplätze an der Strasse und an der Bahn, nachdem bereits über 20 liechtensteinische Arbeiter dort Beschäftigung gefunden hatten. Die neu angekommenen Arbeiter arbeiteten den ganzen Dienstag und den halben Mittwoch. Donnerstag früh hatte sich ein Teil der liechtensteinischen Arbeiterschaft entschlossen, den Arbeitsplatz zu verlassen, da es angefangen hatte zu schneien. Sie bestellten einen Omnibus in der Erwartung, dass das Land diese Rückreise bezahle. Über Intervention der Regierung unterliess der betreffende Besitzer des Omnibus die Fahrt und Dr. [Alois] Vogt, Landtagspräsident Pfarrer [Anton] Frommelt, Arbeiterpräsident [Fidel] Foser und Landestechniker [Josef] Vogt begaben sich an die Arbeitsplätze am Oberalppass, um die Arbeiter zu bewegen, den Arbeitsplatz nicht zu verlassen. Besichtigt wurde zuerst der am höchsten gelegene Arbeitsplatz bei Walo Bertschinger, bei welcher Firma 34 liechtensteinische Arbeiter beschäftigt waren. Diese Arbeiterkolonie war in guter Stimmung, zufrieden mit der Unterkunft, den Löhnen und der Verpflegung und erklärte übereinstimmend, den Arbeitsplatz nicht zu verlassen, sondern solange auszuhalten, bis die Arbeit eingestellt würde in der Erwartung, dass sie dann bei ihrer Rückkehr wieder zu Notstandsarbeiten im Lande zugelassen würden. Gleich verhielten sich 6 Arbeiter bei der Firma Stuag u. [Franz] Murer. Auf dem Arbeitsplatz der Firma Prader oberhalb Tschmutt befanden sich gegen 60 liechtensteinische Arbeiter, von denen ein Teil und zwar die am Arbeitsplatze Anwesenden sich bereit erklärten, zu bleiben. Der grössere Teil der liechtenst. Arbeiterschaft dieser Firma befand sich im Hotel Oberalp, wo sie untergebracht waren, in Sedrun. Sie warteten dort bis 8 Uhr abends auf die Rückkehr der genannten Unterhändler der Regierung. Sofort nach der Rückkehr wurden die Verhandlungen mit der Arbeiterschaft aufgenommen. Die Arbeiter beklagten sich über schlechte Wohnungsverhältnisse, schlechtes Wetter, manche Arbeiter über angeblich schlechtes Essen, was wieder von der Mehrheit bestritten wurde. Andere behaupteten, nicht genügend Kleider und Schuhe bei sich zu haben. Alle verlangten, mit wenig Ausnahmen, wieder heimkehren zu können. Von der Regierung wurde eine Unterstützung der Rückreise als unmotiviert abgelehnt. Die Besichtigung der Arbeitsplätze, der Unterkunft und der Verpflegung sowie die Rücksprache mit der willigen Arbeiterschaft hatte ergeben, dass eine Abreise nicht gerechtfertigt war, da die Entlöhnung sowohl wie die Verpflegung und Unterkunft sehr gut waren. Hilfsarbeiter erhielten einen Lohn von Fr. 1.10 bis 1.25, Maurer von Fr. 1.40 bis 1.50 bei einer Durchschnittsarbeitszeit von 10-11 Stunden pro Tag. Die Unterkunftsräume in den Baracken waren gut, gegen Wind und Regen abgesichert, der unzufriedene Teil der Arbeiterschaft ausserdem in Hotelzimmern untergebracht. Bei einer Arbeitszeit von weniger als 3 Stunden pro Tag wurde den Arbeitern von der Bauleitung das Essen bezahlt, sodass dieselben eine effektive Auslage von noch 25 Rp. für Unterkunft zu bezahlen hatten. Ausserdem erboten die Unterhändler der Regierung einen Lohnausfall von Fr. 2.- für Ledige und Fr. 3.- für Verheiratete für jene Tage, da sie weniger als 3 Stunden arbeiten könnten. Nach kurzer Aussprache wurde der Antrag der Regierung von der Mehrheit abgelehnt u. die 36 Arbeiter verliessen am anderen Tag ohne Einverständnis mit der Regierung den Arbeitsplatz.

Es muss festgestellt werden, dass während der Aussprache das Verhalten der Arbeiter entgegen den umlaufenden Gerüchten mit einer einzigen Ausnahme korrekt war. Der betreffende Arbeiter, der gelegentlich stänkerte, war sichtlich betrunken. Was nach der Abfahrt der Unterhändler der Regierung gesprochen wurde, entzieht sich selbstverständlich der Kenntnis der Regierung. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die Unterhändler bezgl. der zurückgebliebenen Arbeiter einen sehr guten Eindruck erhielten, sowohl was die Arbeitsleistung wie auch was deren Arbeitsdisziplin und deren Verhalten den Vertretern der Regierung gegenüber anbelangt.

Hingegen ist bezüglich der Disziplin der zurückgekehrten Arbeiter nicht das beste Zeugnis auszustellen. Verschiedene Arbeiter, die zurückgekommen sind, haben erklärt, ihre Abreise reue sie und sie wären durch einige verhetzt worden.

In der ganzen Affaire wird von Seite der Regierung festgestellt, dass diejenigen Arbeiter, die zurückgekehrt sind ohne Zustimmung der Regierung und ohne Grund und bisher auch nicht wieder einen Arbeitsplatz im Ausland aufgesucht haben, nicht damit rechnen können, in absehbarer Zeit bei Notstandsarbeiten des Landes Zutritt zu erhalten. [2] Die Regierung ist entschlossen, in diesem Falle hart zu bleiben und Unzukömmlichkeiten haben sich dann diese Leute selbst zuzuschreiben. [3]

 

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[1] L.Vo., Nr. 99, 31.08.1940, S. 1f. Die Mitteilung erschien auch in L.Va., Nr. 70, 31.8.1940, S. 1. Das Original der Mitteilung unter LI LA RF 200/280/015-017. Der Vorfall am Oberalppass fand erhebliches Echo in der Schweizer Presse, vgl. die Zeitungsausschnitte in LI LA SgZs 1940.  
[2] Bereits im Vorfeld hatte die Regierung erklärt, dass Arbeiter, die nicht zur Arbeitsannahme am Operalppass bereit seien, ein Jahr lang von den landschäftlichen Arbeiten in Liechtenstein ausgeschlossen würden (L.Va., Nr. 67, 21.8.1940, S. 1 ("Aus Arbeiterkreisen")).
[3] Das "Liechtensteiner Vaterland" berichtete am 4.9.1940, dass 44 Arbeiter zum Oberalppass reisen würden, um dort bei der Firma Stuag in Dienst zu treten. Darunter seien auch manche jener Arbeiter, die zuvor aus Graubünden zurückgekehrt seien (L.Va., Nr. 71, 4.9.1940, S. 1 ("Vaduz, 2. September - Aus Arbeiterkreisen")).