Ein Liechtensteiner Athlet berichtet über die Teilnahme an der Sommerolympiade in Berlin (III)


Letzter Teil einer dreiteiligen Artikelserie im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

22.8.1936

Erlebnisse der Liechtenst. Olympiade-Mannschaft in Berlin

Am Nachmittag des 1. August fanden die Eröffnungsfeierlichkeiten statt. Auch wir Liechtensteiner wurden mit unbeschreiblichem Jubel empfangen, als wir durchs Marathontor in das von über hunderttausend Zuschauern besetzte Stadion einmarschierten. Grossartig war auch der Augenblick, als mehrere tausend Brieftauben im Stadion losgelassen wurden und dann nach allen Himmelsrichtungen flogen, um in aller Welt die Eröffnung der olympischen Spiele anzuzeigen. Während der Eröffnungsfeier traf auch der letzte Läufer der Staffel ein, die das olympische Feuer von Olympia nach Berlin brachte.

Am folgenden Tag begannen mit den Vorentscheidungen im 100 Meter-Lauf die leichtathletischen Wettkämpfe. Wie man aus der Startliste entnehmen konnte, befanden sich in jeder Gruppe derart hervorragende Läufer, dass für uns Liechtensteiner keine Aussicht bestand, in die Zwischenläufe zu kommen. Man muss hiebei aber auch in Betracht ziehen, dass man sich anderswo jahrelang auf einen solchen Staatskampf vorbereitet und nur so derartige Spitzenleistungen erzielt werden können. Dasselbe gilt natürlich auch für die anderen Sportarten. [2]

Während der Wettkämpfe konnte man interessante Beobachtungen machen, so z.B. sah man, dass oft Kämpfer durch die Anfeuerungen des für sie eingestellten Publikums solche Leistungen erzielten, die sie sonst sicher nicht erreicht hätten, und so begründet sich auch der überlegene Sieg der deutschen Nation bei dieser Olympiade. Aber das Publikum verstand es nicht nur die Wettkämpfer zu diesen besonderen Leistungen anzuspornen, sondern brachte oft auch auf originelle Art seine Dankbarkeit zum Ausdruck. So z.B. wurde Oberleutnant [Gotthard] Handrick, als sein Sieg im modernen Fünfkampf verkündet wurde, so lange als "Hauptmann" gefeiert, bis ihm dieser Rang auch wirklich zuteil wurde.

Von den Wettkämpfen waren wohl die Mittel- und Langstrecken – sowie die Staffettenläufe am spannendsten, und die Kampfbilder, die man dabei zu sehen bekam, werden jedem unvergesslich bleiben.

Das ständige Zuschauen im Stadion hat uns aber auch müde gemacht, und gerne kehrten wir abends ins stille, friedliche Dorf zurück. Es kam aber auch vor, dass am Eingangstor eine ganze Schar Autogrammjäger auf ihre Opfer lauerten, und dann gings oft lange, bis man sich der ersehnten Ruhe wirklich erfreuen konnte.

Das freudigste Ereignis während unseres Aufenthaltes in Berlin war aber doch, als Prinzen unseres Durchlauchtigsten Fürstenhauses uns im olympischen Dorf besuchten u. sich überzeugen konnten, dass wir wirklich gut aufgehoben waren.

So verging ein Tag nach dem andern, und als das Ende der olymp. Spiele gekommen war, schlug auch für uns die Abschiedsstunde. Ein bekanntes Sprichwort sagt zwar: "Es ist nichts schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen", aber in diesem Falle traf dies nicht zu, denn wir hätten es noch lange so ausgehalten.

Wenn wir später in den Büchern über Berlin und das olympische Dorf, die wir zum Geschenk erhielten, nachblättern, werden uns die vergangenen Tage wieder lebhaft in Erinnerung kommen und dankbar werden wir dann auch stets jener gedenken, die es uns ermöglich haben, an dieser Olympiade teilzunehmen.

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[1] L.Vo., Nr. 98, 22.8.1936, S. 2. Der erste Teil erschien im L.Vo., Nr. 96, 18.8.1936, S. 2 ("Erlebnisse der Liechtensteiner Olympiamannschaft in Berlin"), der zweite im L.Vo., Nr. 97, 20.8.1936, S. 1 ("Erlebnisse der Liechtensteiner Olympiamannschaft in Berlin"). Die Serie wurde verfasst von Xaver Frick oder Oskar Ospelt.
[2] Zu den Resultaten vgl. L.Vo., Nr. 90, 4.8.1936, S. 2 ("Von unseren Olympia-Teilnehmern") und Nr. 96, 18.8.1936, S. 2 ("Von unserer Olympiamannschaft").