Ein Liechtensteiner Athlet berichtet über die Teilnahme an der Sommerolympiade in Berlin (II)


Zweiter Teil einer dreiteiligen Artikelserie im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

20.8.1936

Erlebnisse der Liechtensteiner Olympiamannschaft in Berlin

Nachdem wir die Sehenswürdigkeiten im olympischen Dorfe genügend bewundert hatten, suchten wir wieder unser Standquartier auf, um dort für die kommenden Tage einen Arbeitsplan zu entwerfen. Es wurde denn auch beschlossen, sofort nach Erledigung der wichtigsten Einkäufe mit dem Training zu beginnen und so wurde es auch gehalten.

So lange die Schiessstände zu Übungszwecken geöffnet waren, hatten es die Schützen nicht leicht; sie mussten immer in aller Frühe nach Wannsee fahren und kamen erst abends zurück. Wir Leichtathleten hatten es aber bequem eingerichtet, denn unser Übungsplatz befand sich im Dorf selbst. Aber auch beim Stadion waren Sportplätze errichtet und den Teilnehmern zu Trainingszwecken zugänglich. An dieser Stelle muss übrigens erwähnt werden, wie mustergültig alles organisiert war und in welcher Weise man den Teilnehmern entgegenkam. - Um die Mannschaften zu den Übungsplätzen zu befördern, stellte die deutsche Reichswehr etwa 16 Militärautobusse und die Stadt Berlin all ihre öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos zur Verfügung.

Während des Tages war unsere Mannschaft arg zersplittert. Die Schützen konnten sich nicht von ihren Schiessprügeln trennen und verschossen eine Munitionsschachtel nach der anderen; [Adolf] Schreiber fuhr unermüdlich seine Runden auf der Avus [2] und wir Leichtathleten mussten Jesse Owens bewundern. An den Abenden waren wir aber meistens beisammen und besuchten die Darstellungen im Hindenburgbau.

Eine solche Vorstellung war stets die grösste Sensation; so bunt wie das Publikum war auch das Programm. Künstler und Virtuosen aller Art traten auf u. begeisterten durch ihr Können die Jugend der Welt oft so, dass das Klatschen, Pfeifen und Toben kein Ende nehmen wollte. Einmal hörten wir die weltberühmten Donkosaken und ein andermal spielte ein Violinvirtuose so schön, dass man hätte glauben können, [Niccolò] Paganini sei es, der dem Instrument so zauberhafte Töne entlocke.

Am 29. Juli wurde unsere Mannschaft im Rathaus empfangen und ein Magistratbeamter übermittelte uns die herzl. Willkommgrüsse der Stadt Berlin. Herr Baron [Woldemar] von Falz Fein dankte hierauf für die beispiellose Aufnahme, die uns in Berlin zuteil wurde. Anschliessend daran war Kranzniederlegung beim Ehrendenkmal unter den Linden. Den Abschluss des Tages bildete dann noch ein Besuch im Zoologischen Garten.

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[1] L.Vo., Nr. 97, 20.8.1936, S. 1. Der erste Teil erschien im L.Vo., Nr. 96, 18.8.1936, S. 2 ("Erlebnisse der Liechtensteiner Olympiamannschaft in Berlin"), der dritte im L.Vo., Nr. 98, 22.8.1938, S. 1 ("Erlebnisse der Liechtenst. Olympiade-Mannschaft in Berlin"). Die Serie wurde verfasst von Xaver Frick oder Oskar Ospelt.
[2] Die AVUS (Automobil-Verkehrs- und Übungs-Strasse) ist eine 1921 eröffnete Strasse im Südwesten Berlins, die auch als Rennstrecke diente. An der Olympiade fanden darauf Radrennen und Marathon statt.