Regierungschef Josef Hoop referiert im Landtag über die Notstandsarbeiten und die Schaffung einer Nichtbetriebsunfallversicherung


Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Anton Frommelt und Schriftführer Bernhard Risch [1]

1.9.1931

2.) Arbeitslosenversicherungsgesetz

Präsident: Das Gesetz ist bereits in der letzten Sitzung verlesen worden [2] und ich darf dessen Inhalt als bekannt voraussetzen. Möchte irgend jemand zum Gesetzentwurf generell Stellung nehmen oder irgend jemand eine Aufklärung haben? Wenn nicht, wird an die artikelweise Verlesung des Gesetzes geschritten.

Das Gesetz wird sonach artikelweise verlesen.

Präsident verweist sodann auf den Schluss des Gesetzes bezüglich der Volksabstimmung.

Es wird sodann einstimmig (Ferd. [Ferdinand] Risch augenblicklich abwesend)

beschlossen

das Gesetz in dieser Weise anzunehmen und der Volksabstimmung zu unterbreiten. [3] Die Regierung soll ersucht werden, nach ihrem Dafürhalten, der Volksabstimmung zu unterbreiten, d.h. in dem ihr gut scheinenden Zeitpunkte.

Präsident: Nachdem mit der Durchführung dieses Gesetzes ziemlich bedeutende Geldkräfte des Landes mit in Anspruch genommen werden und das heutige Programm weiter eine Besprechung über die Arbeitslosigkeit bezw. über die Behebung derselben vorsah, wie das bereits in der Konferenzsitzung geschehen ist, [4] scheint es ratsam, dass wir bei gegebener Zeit doch auch für dieses Gesetz die notwendigen Unterlagen erhalten. Das Land ist durch die Arbeitsbeschaffung sehr in Anspruch genommen. Es würde wichtig sein, zu erfahren, was für die heurige Arbeit im Grossen und Ganzen projektiert erscheint.

Reg.Chef [Josef Hoop]: Abg. Risch, Schaan, hat in der letzten Landtagssitzung einen ähnlichen Wunsch geäussert und wir hätten ohne weiteres diesen Punkt auf die Tagesordnung genommen, wenn nicht in der Zwischenzeit ein Initiativbegehren auf Aufhebung der Alkoholsteuer [5] eingebracht worden wäre, wodurch dem Lande das Risiko aufgebürdet wird, einen sehr namhaften Posten unseres Budgets unter Umständen zu verlieren. Es handelt sich um einen Betrag von ca. Fr. 80'000.-. Gegen diese Steuer werden nun Unterschriften gesammelt und zwar merkwürdigerweise gerade auch aus Kreisen heraus, die auf der anderen Seite Tag für Tag Ansprüche an das Land um Arbeitsbeschaffung, um Förderung der sozialen Fürsorge für die Arbeiterklasse etz. stellen. Wir hätten dieses Notstandsprogramm auf die Tagesordnung zur Beschlussfassung genommen, müssen aber heute darauf verzichten, dem Landtage einen diesbezüglichen Antrag zu stellen, weil wir abwarten müssen, bis abgeklärt ist, ob die Steuer aufgehoben wird oder nicht. Das Notstandsprogramm würde ungefähr Folgendes vorsehen; neben den ordentlichen Rheinbauten und in der Voraussetzung natürlich, dass die Landeseinnahmen nicht wesentlich verkürzt werden:

Bau des Parallelgrabens in Ruggell, der übrigens bereits begonnen worden ist, aber wegen dem Wetter wieder eingestellt werden musste, mit einem ungefähren Kostenaufwande von Fr. 40'000.-. Dann der Kanal in Ruggell mit einem ungefähren Kostenaufwande von Fr. 200'000, der Kanal in Vaduz, also die Strecke von der Lochgasse bis zur Triesner Schleuse und mit Tieferlegung der Triesener Schleuse mit einem Betrage von ungefähr Fr. 40'000.-. Der Kanal in Balzers, der übrigens, was den Aushub anbetrifft, mehr als zur Hälfte fertiggestellt ist, mit einem Kostenaufwande von ca. Fr. 80'000.-, dann die Strassenkorrektion beim Edelweiss mit einem ungefähren Kostenaufwande von 25'000 Fr., die Strassenkorrektion in Schaan-Planken mit voraussichtlich ca. 45'000 Fr., dann der Bischrank in Schaan, der vermutlich etwa 12'000 Fr. verschlingen wird, weiters die Strassenregulierungen bei der Nendler Rüfe, bei der Lawenarüfe u.s.w. mit einem ungefähren Kostenvoranschlage von Fr. 28'000.-, das macht ungefähr zusammen 470'000 Fr., welche wir im Interesse der Arbeitsbeschaffung ausgeben würden. Die Wahl der Bauplätze ist so getroffen, dass mehr oder weniger aus jeder Gemeinde eine Arbeitsstätte leicht erreichbar ist. Nach diesen Ansätzen sollte nach aller Voraussicht die Arbeitslosigkeit doch zum weitaus grössten Teile, wenn nicht zur Gänze im heurigen Winter behoben werden. Dies umso mehr als gegenwärtig die private Bautätigkeit in erfreulicher Entwicklung begriffen ist. Gestern wurde mit dem Baue des Hotels in Vaduz begonnen und verschiedene andere private Unternehmen bauen. Die Vergebung der Arbeiten haben wir in folgender Weise zu regeln gedacht: Die Arbeiten werden in der Regel mittels Einholung von Offerten an Unternehmer vergeben. Sie können jedoch in eigener Regie ausgeführt werden, wenn diese Betriebsart aus technischen Gründen vorteilhafter erscheint. In der Regel wird das System der Regiearbeiten unbedingt verlassen. Es wäre für das Land direkt unmöglich, diese grossen Arbeiten, die bevorstehen, in Regie auszuführen, das nötige Installationsmaterial zu beschaffen. Dem Bauamte wäre es unmöglich, die Beaufsichtigung dieser Arbeiten in wirksamer Weise zu pflegen. Wir kehren also wieder zum System der Vergebung zurück. Das wird die Regel sein im heurigen Winter. Wenn aber aus technischen Gründen die eigene Regiearbeit vorteilhafter ist, werden wir es im Interesse des Landes beibehalten. Nachdem die Arbeiten in der Regel an die Öffentlichkeit wird vergeben werden, haben wir die Absicht, die Löhne in gewissen Ausmassen wenigstens zu regeln u. zw. zahlt das Land bei Notstandsarbeiten für Erdarbeiter 70-90 Rp. pro Stunde, für Handwerker bis 1.20 pro Stunde, wenn die Arbeiten in einer Regie ausgeführt werden. Die Unternehmer der staatlichen Arbeiten, also Akkordanten u.s.w. müssen Normalarbeitern einen Stundenlohn von mindestens 1 Fr. bezahlen, wobei jedoch eine Lohnspanne bis auf 20 Rp. nach unten und oben, je nach Alter und Arbeitsleistung angängig ist. Diese ganze Formulierung ist getroffen worden im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit dem liechtensteinischen Arbeiterverband und wir haben diese Lohnansätze so eingesetzt, nachdem reiflich das Für und Gegen diskutiert worden ist. Die Arbeiter stehen mit Recht auf dem Prinzip des Leistungslohnes, dass der, der mehr leistet, auch mehr bekommen soll. Differenzen über die Ansetzung der Stundenlöhne sollen durch eine Kommission geschlichtet werden, auch diese Formulierung ist im Einvernehmen mit dem Arbeiterverbande erfolgt. Das letzte Jahr hat auch gezeigt, dass die Vermittlung der Arbeiter eine ausserordentliche schwere und mühevolle Arbeit gewesen ist. Auf der einen Seite war es schwerer denn je, unsere Arbeitskräfte in die Schweiz unterzubringen und hier im Lande hat es oft und oft zu Unzukömmlichkeiten geführt bezüglich Zuweisung an die Arbeitsstätten. Wir haben deshalb hier eine Neuregelung ebenfalls im Einvernehmen mit dem liechtensteinischen Arbeiterverband ins Auge gefasst, die grundsätzlich folgendermassen ausschauen würde:

"Im Interesse einer wirksamen Arbeitsvermittlung wird eine Arbeitsnachweisstelle geschaffen, bei welcher sich die Arbeitssuchenden zu melden haben. Arbeitgeber haben ihren Bedarf an Arbeitskräften ebenfalls bei dieser Stelle anzumelden.

Die Kosten der Einrichtung dieser Stelle trägt das Land. Ihre Aufgaben und Befugnisse werden von der Regierung umschrieben und vom Landtage genehmigt." [6]

Es müsste also nach diesen Bestimmungen eine eigene Stelle geschaffen werden, die vielleicht nicht vollständig von ihren Aufgaben beansprucht wird, aber immerhin eine gewisse Zeit des Jahres sich der Vermittlung der Arbeiter widmet. Im Frühling wird ihre Hauptaufgabe darin bestehen, in enger Fühlungnahme mit den schweizerischen Arbeitsämtern und mit den schweizerischen Unternehmern unsere Arbeiter unterzubringen. Im Winter, wenn die hiesigen Notstandsarbeiten ausgeführt werden, wird sie trachten müssen, möglichst reibungslos die Zuteilung der Arbeiter an die Arbeitsplätze vorzunehmen.

Das ist im Wesentlichen das Programm, welches wir für den heurigen Winter vorgenommen haben, zu verwirklichen. Das Programm ist, wie eingangs bemerkt, gefährdet durch diese Arbeiterinitiative. Wir können deshalb seitens der Regierung nicht empfehlen, heute dieses Programm zum Beschlusse zu erheben, sondern müssen den Antrag stellen, dasselbe bis zu dem Zeitpunkte zu vertagen, wo man weiss, ob das Land 80'000 Fr. weniger Einkommen hat oder nicht. Um einen Schritt in der Sozialgesetzgebung weiter zu gehen, haben wir die Versicherung der Nichtbetriebsunfälle [7] ins Auge gefasst, wenn diese einmal verwirklicht ist, stehen wir, was soziale Leistungen in diesem Versicherungszweige anbetrifft, sogar über der Schweiz.

Wir hätten nun die Möglichkeit, mit den Versicherungsgesellschaften, die bei uns konzessioniert sind, auch die Nichtbetriebsunfallversicherung zu regeln. Wir könnten mit diesen einen Vertrag abschliessen, demzufolge sie die sämtlichen gegen Betriebsunfall Versicherten gegen eine Prämienerhöhung von 12 Promille auch gegen Nichtbetriebsunfall versichert. Die Prämie würde nun teils vom Arbeiter, teils vom Staate getragen. In der Schweiz zahlt der Staat an die Nichtbetriebsunfallversicherung 1/4tel, der Arbeiter 3/4tel. Wir müssen mit der Arbeiterschaft noch einen Schlüssel vereinbaren, nach welchem die Prämien getragen werden. Die Durchführung dieser Versicherung würde das Land, je nachdem dieser oder jener Schlüssel angewendet wird, 6000 bis 8000 Fr. kosten. Auch das wäre eine soziale Besserstellung, die wir sehr gerne der Arbeiterschaft zukommen hätten lassen, wenn nicht eben beständig daraufhin gearbeitet würde, dem Lande die so notwendigen Einnahmen zu entziehen. Es ist eine Unverschämtheit zu behaupten, dass man immer sage, man habe Geld genug. Das ist nie gesagt worden. Man sagt immer, man müsse sparen und überall sparen. Jeder Rappen, der eingenommen worden ist, ist für produktive Arbeit verwendet worden. Aber auch hier kann man selbstverständlich ins Ungemessene gehen, man muss auch abwägen, wieviel der Staat erträgt und nicht erträgt. Wir haben im heurigen Jahre für Arbeiten im öffentlichen Interesse weit über eine halbe Million ausgegeben und haben, wie wir aus dem Notstandsprogramm gesehen haben, weitere Arbeiten vor. Es erfordert dies ohne Zweifel die Anspannung der ganzen finanziellen Kräfte des Landes. Nur zu behaupten, es sei Geld genug vorhanden, ist eine vollständige Verkennung der Sachlage, umso mehr als man bei den ganz ungewissen wirtschaftlichen Verhältnissen auf der ganzen Welt nie weiss, wie es im kommenden Monate aussieht. Eine grosse Krisis in Deutschland bleibt nie ohne Rückwirkung auch für unsere Verhältnisse hier. Ich betone nochmals, es ist eine Unverschämtheit zu behaupten, es sei Geld genug vorhanden, man könne nur so im Gelde wühlen. 

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[1] LI LA LTP 1931/169.
[2] Öffentliche Landtagssitzung vom 3.8.1931 (LI LA LTP 1931/156).
[3] Das Gesetz wurde am 22.11.1931 in allen Gemeinden ausser Vaduz und Schaan verworfen und zwar mit 653 Ja- zu 1152 Nein-Stimmen (Stimmbeteiligung 84,9 %).
[4] Konferenzsitzung des Landtages vom 1.9.1931 (LI LA LTP 1931/166).
[5] Gesetz vom 31.5.1929 betreffend die Einführung einer Alkoholsteuer (LGBl. 1929 Nr. 8). Das Gesetz wurde in der Volksabstimmung vom 26.5.1929 mit 950 Ja- zu 812 Nein-Stimmen angenommen (Stimmbeteiligung 81,7 %). Vgl. auch die einschlägigen Sitzungsprotokolle der Finanzkommission (LI LA LTA 1931/S03) sowie die betreffende Regierungsakte von 1931 (LI LA RF 122/259). Die Initiative auf Abschaffung der Alkoholsteuer kam mangels der notwendigen Unterschriften nicht zustande (Rech.ber. 1931, S. 36).     
[6] Der Landtag beschloss den erforderlichen Kredit zur Schaffung einer "Arbeitsnachweisstelle" in der öffentlichen Sitzung vom 30.9.1931 (LI LA LTP 1931/193).  
[7] Gesetz vom 21.1.1932 betreffend die Versicherung gegen Nichtbetriebsunfälle (LGBl. 1932 Nr. 6). Vgl. ferner das Gesetz vom 16.1.1931 betreffend die Unfallversicherung (Betriebsunfälle) (LGBl. 1931 Nr. 2).