J.G.Rheinberger schildert seinem Bruder Anton in Vaduz, wie er die Fasnacht verbrachte.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder Josef


München den 27.2.54
Lieber Anton!
Weil heute Fastnachtsmontag ist, wo wir Vakanz haben, dachte ich mir, wolle ich Dir schreiben, gleichviel ob ich etwas weiss, oder nicht - zudem wirst Du es mit dem Briefstyl nicht so genau nehmen.
Ich will Dir also erzählen, wie ich den Fastnachtssonntag zugebracht, aber einschlafen darfst Du nicht. Gestern früh ging ich in die Kirche, hatte um 11 Uhr Unterricht bei Hr. Professor Maier, ging nach Haus, ass Mittag, liess mir 'a Masserl' holen that mich gütlich, dachte an Vaduz, an die Kücheln 'Nidla' und Fackelschwingen [1] an Mali's 'oinfassle' usw. Dann nahm ich die Leipziger musikalische, las die schon 60 Jahre alten Neuigkeiten u. an die Fastnachtsdummen neuen Altigkeiten. Dann wurde es schön Wetter, ich ging spatziren über den Dultplatz, Obelisk, dann (schlaf nicht ein!) schneite es - ich ging zu Haus, trank noch eine Halbe u. blieb den ganzen Nachmittag zu Hause bis 1/2 4 Uhr, da fuhr ein Schlitten vor, wo ich 'a la grosser Herr' zu Hr. Prof. Schafhäutl u. fuhr nach der 'Menterschwaig' (1 1/2 Stunden von München) hier waren trotz dem Schnee und den Bällen doch eine Menge Münchner sogar Prinz Adalbert, welcher wie ein Bürstenbinder soff und sehr lustig war. Das Bier war herrlich, dann gabs Wildenten Burgunder auf das Wohl der Vaduzer und Kaffe. Im Nachhausefahren war die Unterhaltung lebhaft, auch vom 'Matscherle' [2] wurde geredet. 1/2 9 Uhr war ich schon wieder zu Hause, trank wie gewöhnlich mein Bier und unterhielt mich mit mir selbst, denn Hr. Perstenfeld war noch nicht da, sondern blieb ohne Erlaubniss aus, was er aber theuer büssen soll, denn zufolge einem Gerüchte (seiner Frau) soll er zur Strafe morgen ein Mass weniger bekommen.
Endlich kam er auch, jedoch ziemlich 'bewaffnet' und kreuzlustig, er wollte gar nicht ins Bett und während der Unterhaltung hatte ich oft Mühe nicht laut lachen zu müssen. Heute um elf Uhr werden die ersten (gusseisernen) Säulen aufgestellt, wahrscheinlich werde ich hinausgehen. -


Heute ist hier der 'Metzgersprung' ein Volksfest der Metzger, welches alle Jahr wiederkehrt, unter anderm müssen sie auch in einen Brunnen springen, ich mag gar nicht hingehen. -

Als ich mich um den 'Doktor konto' erfuhr ich, dass Hr. Prof. Schafhäutl ihn bezahlt habe.

Ich lasse alle, besonders die 1. Eltern herzlich grüssen, und hoffe, dass der Brief Dich gesund in Deinem Kleister- Atelier treffe
Dein Dich liebender Bruder
Joseph Rheinberger.

 

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[1] Kücheln, 'Nidla' und Fackelschwingen... = Küchlein, Rahm und Fackelschwingen gehören zum Brauchtum des Winteraustreibens in Liechtenstein. Der 1. Fastensonntag (Sonntag "Invocabit" ist der "Küchlesonntag".)
[2] 'Matscherle' = im Hause Rheinberger verwendete Koseform für Amalia (Mali).