Josef Rheinberger schreibt seinen Eltern zum ersten Mal aus München.


Brief J. G. Rheinberger an seine Eltern

27. Oktober 1851, München

Theuerste Eltern!
Ich halte es für meine kindliche Pflicht, Euch bald Nachricht von mir zu geben. Ich ergriff demnach freudig die Feder, weil ich nur Gutes schreiben kann. Am 16ten d.M. verliess mich der Peter, wenige Stunden hierauf Hr. Pfarrer Wolfinger. Dies fiel mir ein wenig schwer. Denn ich stand nun ohne Bekannte in einer fremden, grossen Stadt. Aber die Freundlichkeit u. herzliche Aufnahme meiner Quartierleute stimmten mich bald wieder heiter, so, dass ich ganz ohne Heimweh davon gekommen bin. Mir ging es bisher, Gottlob! immer nach Wunsche. Hr. Perstenfeld sorgt für mich, wie für sein einziges Kind, an Leib u. Seele, so kann ich Euch gewiss versichern, u. er wird ein paar Zeilen für Euch beilegen.
Am 16ten d.M. ging ich mit Hr. Pfarrer Wolfinger zum Herrn Grafen Törring-Seefeld, welcher die Güte hatte, mir eine 10 fl Banknote zu schenken, mit dem Bemerken, dass ich ein Glas Bier auf Seine Gesundheit trinken solle. Auch solle ich zu Ostern auf sein Schloss Seefeld kommen, versehen mit einem Zeugnisse des Hr. Direktors Hauser. Falle dieses gut aus, so wolle er für's Weitere sorgen. (So drückte er sich kurz aus). - Diese gräfliche Banknote kam mir sehr wohl zu Statten. Denn als ich dem Hr. Direktor Hauser den 1/4 jährlichen Betrag des Schulgeldes (10 fl) entrichtete, bemerkte er, ich müsse noch 5 fl 24+er für den Gebrauch der Bibliothek u. weiter 2 fl 24+er als Einlage entrichten. (Die 5 fl u. 24+er bekomme ich jedoch am Ende des Schuljahres zurück.)
I
ch habe nur 2 Fächer der Musik, Klavier u. Harmonie u. Kontrapunktlehre. In beiden Fächern sind tüchtige Meister meine Lehrer. Die Klavierstunde habe ich mit 2 Erwachsenen, mit einem 16jährigen, welcher sehr gut spielt, und einem 14jährigen. - Harmoniestunden ebenfalls mit 2 Erwachsenen. Die 4 Erwachsenen können so ziemlich nicht viel für ihr Alter, denn ich will allen gleichkommen.
Dem Hr. Pfarrer Wolfinger habe ich schon geschrieben. Im Ganzen gefällt es mir in München. - Ist noch nichts von Frankfurt gekommen [1]? - wie geht es dem Hanni? u. Euch allen? Grüsst mir alle, besonders die Mutter, den David, den Peter, die Josepha, das Hanni, den Toni, das Lise, das Male u. alle Verwandte u. Freunde.-
Gott erhalte alle, u. besonders Euch noch lange u. gesund.
Ich verbleibe Euer dankbarster Sohn
Joseph Rheinberger

Meine Adresse: An Joseph Rheinberger, Zögling des Conservat. der Musik zu München, Maximilians-Vorstadt, Findlingsstrasse Nr. 1/1 links, nächst der protestantischen Kirche

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[1] nichts von Frankfurt gekommen = Rheinberger hatte sich um ein Stipendium der Mozartstiftung in Frankfurt beworben (vgl. S. 8lf.)