J. G. Rheinberger berichtet über seine ersten Erfahrungen in München.


Brief J. G. Rheinberger an seine Eltern


München, den 2ten Dez. 1851
Theuerste Eltern!
Durch Euren Brief vom 1ten vorig. M. erfreut, halte ich es für meine Pflicht, Euch nicht lange unbeantwortet zu lassen, da ich weiss, dass Ihr gewiss schon Antwort erwartet habet.

In Eurem Schreiben drückt Ihr Euer Verwundern aus, dass ich nichts von der Orgel geschrieben habe. Dies that ich desswegen, weil ich bisher noch keine Orgelstunde genossen habe. Es wird Euch der Peter schon gesagt haben, dass an meiner Aufnahmsprüfung der Hr. Direktor glaubte, dass Clavier-, Harmonie-, Contrapunct- u. Orgelstunden zu viel für mich sei, wesswegen ich letzteres weglassen solle, da ohnehin der Anschlag auf der Orgel u. dem Claviere so verschieden ist, dass durch den Orgelunterricht der des Klavieres beeinträchtigt werden könnte - so liess ich mich wirklich ein wenig einschüchtern. Als ich aber sah, dass die Unterrichtsstunden so spärlich ausgetheilt werden (es werden nämlich in der Woche für jedes Fach nur 2 Stunden gegeben, deren jede 2 Stunden dauert) u. mir bei allen Aufgaben noch Zeit zu einem Gegenstande der Musik übrigbliebe, so ging ich zweimal zum H. Direktor u. bat ihn, mir zu erlauben, Orgelunterricht geniessen zu dürfen. Das erstemal fruchtete es nichts, das andere mal liess er aber nach u. gab mir die Erlaubniss. Ich werde also künftighin 6 Unterrichtsstunden haben, was mir sehr lieb ist, da der berühmte Herzog Orgelunterricht ertheilt. An der Singstunde möchte ich nicht theilnehmen, da keiner von meiner Grösse dieses thut, sondern nur lauter Erwachsene. Von Aestethik und Akustik habe ich bisher weder etwas gesehen noch gehört. In der Harmonie- und Clavier-Lehre bin ich in der höchsten Klasse. Bei dem Orgelunterricht werde ich wahrscheinlich von vorn anfangen müssen, weil zwischen dem wahren und dem unsrigen Orgelspiel ein grosser Unterschied ist. -

Hier in München ist eine theure Polizei, da mich die Aufenthaltskarte schon vierthalb Gulden kostete u. noch ferner monatlich 12+er kosten wird. -

Herr Pfarrer von Türkenfeld hatte das monatliche Kostgeld richtig geschickt u. mir schon einmal geschrieben. Mein Quartierherr ist sehr liebreich gegen mich u. brachte es zu Stande, dass ich bei Bräumeister von Knorr, der eins der besten Klaviere in München besitzt, spielen darf, so oft ich will, was mir sehr lieb ist, da das unsrige Klavier so beschaffen ist, wie das, welches ich in Feldkirch gehabt habe. Auch muss ich in's Conservatorium eine starke 1/2 Stunde weit gehen, was im Winter sehr unangenehm ist. Hier liegt seit Allerheiligen Schnee u. herrscht grosse Kälte u. furchtbare Theuerung. -
Herrn Lampert und H. Fetz habe ich die Briefe abgegeben, beide nahmen mich freundlich auf u. bin zu keinem seither gekommen. ---
Wie ist bei Euch die Weinlese ausgefallen? -
Ist es in Vadutz auch so strenger Winter? Spielt Falk noch immer Orgel? Wie geht es Euch allen, dem Hanni und dem Vetter Ludwig? Grüsst mir alle Verwandte und Bekannte. Ihr seid gewiss alle gesund,
was Gott Lob auch
ist Euer dankbarster Sohn
Josef Rheinberger.
Viele Empfehlungen u. Grüsse nebst einem Briefe von H. Perstenfeld.

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