Josef G. Rheinberger spricht über seine musikalische Fachausbildung.


Brief von Josef Gabriel Rheinberger an seine Eltern


München, den 29.5.54
Theuerste Eltern!
Es freute mich unendlich, aus Ihrem letzten Briefe (den ich sammt beiliegenden 26 fl letzten Samstag empfing) entnehmen zu können, dass Sie sich wohl und zufrieden befinden. Jedoch befremdete mich Ihr Stillschweigen über 2 Dinge sehr, nämlich wegen jener unangenehmen Commission und wegen meiner Märsche [1] - sollte sie Peter denn nicht erhalten haben? - was mir sehr unlieb wäre. -
Es freute mich auch, dass wir nun keine Kuhschellen von Glocken mehr haben. Hr. Pfr. Wolfinger, dächte ich, habe sich wegen dem Fis-ton, wenn nicht ganz unrichtig, doch etwas stark ausgedrückt - allerdings hat Fis-dur nicht das Erhabene des C - das Feierliche des Es - das Freudige des D, oder das Fromme des A dur-Akkordes, sondern etwas Düsteres, Ängstliches in der Klangfarbe - jedoch hat nicht der blosse Fis-dur Akkord das Verzweiflungsvolle, sondern das Verzweiflungsvolle lässt sich in Fis-dur leichter ausdrücken, als in manchen andern Tonarten. -

Seien wir indessen froh, dass wir nun doch (gegen früher) eine Tonart haben (dies ist schon ein Zeichen des Fortschrittes, es wäre gut, wenn manches in Liechtenstein nur e i n e Tonart hätte, wenn's für jetzt auch Fisdur wäre). -
Das Konzert Nagillers hat grösstenteils sehr gefallen, mir auch. Er kam mit Hr. Maier auf mich zu reden, ohne zu wissen, dass ich hier sei, dann liess er mich einladen, ich kam hin - und plauderte so manches. Er ist noch hier.
- Sehr interessant sind die neu erfundenen Instrumente von Kaufmann aus Dresden, als Orchestrion, Symphonion und Chordanlodion. -
Gestern im Theater (Wasserträger von Cherubini) sagte mir Hr. Prof. Schafhäutl, der alle schön grüssen lässt - es sei ein Industriegegenstand von Liechtenstein eingetroffen, und zwar OFENRÖHREN, (ich erriet gleich, die müssten von Tonkünstler Schaedler [2] sein, ohne Zweifel bekommt er die goldne Medaille).
Der Peter soll mir bald schreiben, was es mit den Märschen ist. -
Auf Pfingsten werde ich, wenn schön Wetter, nach Türkenfeld fahren. Der Toni lasst nichts von sich hören. Der Industriepalast ist fertig, beiliegend das Bild. Der Peter muss kommen, sonst geh ich nicht nach Hause. Ich freue mich kindisch, ihn zu sehen und dann bald Ihnen Beste Eltern! mündlich die Versicherung zu geben, wie sehr ich bin
Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.

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[1] wegen meiner Märsche = Rh. scheint einige Märsche für das liechtensteinische Militärkontingent geschrieben zu haben. Es ist nicht mehr zu eruieren, ob sie nicht angekommen sind, oder ob sie später verloren gingen.
[2] Tonkünstler Schaedler = Die Tonwarenfabrik Gebr. Schaedler in Nendeln, gegr. 1836, ist der erste eigentliche Industriebetrieb in Liechtenstein.