Rheinbergers Orgellehrer Herzog empfiehlt Josef G. Rheinberger München zu verlassen, um sich weiter entwickeln zu können.


Brief Johann Georg Herzog an Josef G. Rheinberger


München, den 23. Sept. 54
Lieber Rheinberger!
Deine lieben Zeilen haben mich sehr erfreut, und bedaure nur, dass ich nicht früher an die Antwort kommen konnte.
Das Dir gewidmete Orgelheft ist noch nicht eingetroffen; Du kannst daraus ersehen, wie die Buchhändler mit einem armen Komp[onisten] umgehen. Es ist Dir aber jedenfalls gewiss. -

Deine Sachen hat Körner noch und scheint sich nach seinem letzten Briefe dafür entschliessen zu wollen, aber 1 Jahr Geduldprobe wird wahrscheinlich damit verbunden sein. -

Die Cholera liess mich und mein Haus bisher, Gott sey dank, verschont; Manchen, den Du vielleicht kennst, hat sie unerbittlich dahingerafft. -
Hr. Leonhardt ist hier u. gesund, doch von Hr. Maier weiss ich nichts Bestimmtes zu erfahren.
Meine Abreise nach Erlangen ist auf den 6. Okt. festgesetzt. Wann werden wir uns einmal wieder im Leben begegnen?
Nach Deinem Schreiben scheinst Du Lust zu haben wieder nach München zu kommen (Unter uns gesagt!!) Ich bin nicht dafür. Du hast im Orgelspiel so viel Fertigkeit, dass Du keinen Lehrer mehr bedarfst, und das fleissige Selbststudium wird fortan Deine Hauptaufgabe sein. Hr. Maier ist ein vortrefflicher Lehrer im Contrapunkt, aber auch ein eingefleischter Scholastiker. Du wirst nach Verlauf eines Jahres nicht weiter sein, als jetzt.
Hast Du Geld und Zeit, so halte ich fürs Gerathenste, wenn Du noch kurze Zeit wohin gehst, wo ein bedeutender Comp[onist], ausgerüstet mit vieler Erfahrung wie z.B. Spohr etc. lebt, das wird Dir das Letzte verschaffen. Du bist jetzt auf der Stufe, wo die contrap[unktischen] Uebungen auch mehr schulmässig betrieben werden dürfen; Du musst jetzt Musik machen lernen, selbstständige Tonstücke, bei denen die Poesie vorherrschend ist. Dahin gehören Lieder, Motetten, Quartette etc. Ob Du solches im Conserv. in München erreichen wirst??
Das Hören, wozu hier wohl viel Gelegenheit ist, reicht noch nicht aus.
Es fehlt im Conserv. ein Mann, der selbst ein bedeutender Comp[onist] ist.

Das ist meine Meinung, habe ich Unrecht, so halte es der Liebe, die ich zu Dir habe, zu gute. -

Dazu glaube ich noch, dass München überhaupt nicht der Ort ist, wo man bereitwillig Talente unterstützt und gross zieht. Es gibt nicht viele Dr. Schafhäutl.
Mache aber von diesen Zeilen keinen Gebrauch. Sie kommen aus dem Herzen. Du kannst bedeutende Fortschritte machen, wenn Du fleissig für Dich fortstudirst und die Wahrheit nicht ausser Augen lässt: dass zum künftigen Künstler Demuth gehört.
Viele haben diesen Satz vergessen und hier bald alles Talent zu Grunde gezogen.
Dein ergebenster
Herzog
Prof. d. M[usik].

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