Schafhäutl freut sich, dass Josef G. Rheinberger nach Absolvierung des Konservatoriums seine Studien in München nach der Cholera fortsetzen kann.


Brief Schafhäutl an Josef G. Rheinberger


München, den 7. Nov. 1854
Mein lieber, lieber Peppi!

Ich habe soeben Deinen Brief und Dein Ave maris stella erhalten und beides hat mich mehr gefreut, als Du Dir vielleicht vorstellen magst, um so mehr als sie ein sächlicher Vorbote Deiner selbst sind.
Während Du in Deinem schönen Liechtenstein vielleicht unter den Dreischwestern [1] sassest, hatten wir hier Plage, Jammer, Seuche, Tod und nur Ketten von Leichenfeierlichkeiten gehabt. Auch die Strassen, sonst von einem fröhlichen geschäftigen Menschengewirre erfüllt, waren gleich nach Deiner Abreise leer geworden und nur Geistlichen mit der letzten Wegzehrung, Leichenzügen, Karren voll mit Todtensärgen gefüllt begegnete man, wohin man immer seine Schritte wenden mochte. Todesangst lag auf der Bevölkerung, ganze Häuser sind ausgestorben und ein Drittheil der Bevölkerung war aus der Stadt geflohen.
Ich blieb glücklicherweise verschont, täglich morgens 7 Uhr meine Schritte nach der Ausstellung lenkend und abends 7 oder 8 Uhr wieder nach Hause kehrend, sodass ich während des ganzen Sommers und Herbstes keinen Tag aus der Stadt entfernt bleiben konnte.

Auch das Ausstellungsgebiet war natürlich während die Cholera wüthete schauerlich leer; man sah nur die blauen Tressen unserer Aufseher und hier und da eine fremde Gestalt aus irgendeinem Winkel des Glaspalastes entflohen. Der Himmel auf welchen man bei der Eröffnung am allerwenigsten dachte, hat auf eine unerwartete Weise alle unsere Vorarbeit zu Schanden gemacht, und als unsere königliche Familie im Glaspalaste war, spielte ich auf der hier errichteten Orgel den alten lutherischen Choral:
'Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst, da arbeit't jedermann umsunst', eine gereimte Version des l26ten Psalms: 'Nisi Dominus aedificaverit domum, in vanum laboraverunt qui aedificant eam'. Freilich ahnte kein Mensch, was der Text des Psalms predigte.
Mit unserem kgl. Hoftheater sieht (es) sehr schlecht aus. Die letzte Bravour Sängerin Rettich ist an der Cholera gestorben und keine Person hier, die sie ersetzen könnte, unsere 3 Tenöre sind immer krank; Härtinger wird vielleicht
gar nicht mehr singen können. So ist es denn gekommen, dass wir höchstens noch einige Schrei- und Spectakel Opern geben können, wo man eben nicht singen zu können braucht, wenn man nur eine gute Lunge besitzt.
Wenn uns auch das Theater nichts mehr in künstlerischer Beziehung bieten kann, so haben wir doch noch nebenher Concerte, Quartett Unterhaltungen am Conservatorium und das Kränzchen dazu, sodass es also den Winter über an Musik nicht fehlen wird.
Deine alten Kameraden fragen mich so oft sie mir begegnen, ob ich nichts von Dir gehört, ob Du nicht wieder kämest und werden sich herzlich freuen zu hören, dass Du bald in München eintriffst. Kein Mensch freut sich aber mehr, Dich noch in seine Arme schliessen zu können als ich,
Dein alter Freund Schafhäutl.
Grüsse mir den Vater und Frau Mutter herzlichst.
Adieu auf baldiges Wiedersehen!

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[1] Dreischwestern = Gebirgskette im Fürstentum Liechtenstein