Josef G. Rheinberger schickt einen Rapport samt Bilanz an seine Eltern.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
29. Dezember 1854, München


Verehrteste Eltern!
Ich kann nicht umhin, Theuerster Vater! Ihnen beim Jahresschlusse meinen tiefgefühlten Dank und herzlichste Wünsche für Ihr Wohlergehen darzulegen - besonders, da ich weiss, und es mit dankerfülltem kindlichem Herzen anerkenne, wie sehr und mit welcher Aufopferung Sie für mein leibliches und geistiges Wohl sorgen.
Theuerster Vater! gebe der Allmächtige, dass Sie noch viele, viele Jahreswechsel gesund und froh sehen, und Freude, grosse Freude sowohl an mir, wie an meinen andern Geschwistern erleben möchten. Gott weiss es, dass dieses mein einziger, innigster Wunsch ist, und dass ich mich bestrebe, mich dieser seiner Gnade besonders würdig zu zeigen. -
Theuerste, beste Eltern! ich bin, Gottlob, immer gesund und, ich darf es ohne mich zu rühmen sagen, auch fleissig genug, mein Ziel baldigst zu erreichen. Meine Lehrer und Gönner sind alle, so weiss ich es gewiss, mit mir zufrieden. Viel Vergnügen verursachte es mir namentlich, dass jenes Stück in Vaduz angelangt, welches Herzog mir gewidmet, und Ihnen so viele Freude gemacht habe, wie mir Lisi schrieb. -
Meine Opera ist fertig und gefällt allen, die sie gesehen, sehr wohl - nun wird sie schön eingebunden trotz dem Toni, und wenn es mein ganzes Vermögen kosten sollte, und Hr. Lachner gebracht, welcher mir sagte, dass er sich darauf freue. -
Hr. Leonhard habe ich auf's Neujahr eine Sonate komponiert. Mit Tschavoll jun. unterhalte ich beständig eine französische Korrespondenz. Hr. Maier ist gegenwärtig in Karlsruhe bei seiner Mutter.
Herr Schafhäutl lässt alle schön grüssen, Salis auch, H. Perstenfeld ebenfalls - ihm bezahle ich monatlich 22 fl, weil Ludwig bei mir wohnt.
Hier füge ich nun noch in Kürze meine Ausgaben bis Neujahr an:

                               fl + er                                               fl + er

Dem Doktor             8   -           Für Siegellack                 –    12
Perstenfeld            44   -           "     Kerzen                     –    12
Für Holz                  8    -           "    Bleistifte,Federn        –    24
"  einen Hut            3    -           "   Malis Musikalien         2    42
"     "   Überrock     10   -           "   Aufenthaltskarte        2    24
in 2 Concerte          2    -           "   Krankenhauskarte      1    30
Für Hausschuhe      -   36          "    Hosenträger             –      42
"  Notenschreib- u.                    "   einen Kalender           –     15 
   Packpapier         1   12           "   Briefmarken                –     36
"  eine Zahnbürste -   15          "   Lisis Hut, mir
"    "  n Kamm         -    18             nachzubezahlen          1    30 
                                                      Auf der Reise              11    25
                                                                       Summarum 99   59

Vom 15ten Nov. bis Neujahr 1855.

Ich dachte mir zuvor, mir auf das Kristkindl etwas zu kaufen aus dem Gelde, welches ich von Hr. Vetter in Schaan hatte, nachdem ich aber die Ausgaben berechnet, dachte ich, jetzt lasst du es bleiben! -
Was macht die liebe Mutter? Ist sie gesund? Lisi und Mali sollen mir schreiben, was der 'Samiklos'[1] gebracht; auf die Feiertage erwartete ich von ihnen Briefe, weil ich's so langweilig hatte. Besonders am Stefanstage; es regnete und windete den ganzen Tag, nicht einmal das Bier hat mir geschmeckt. Die Mette vom Weihnachtstage wurde nicht um 12 Uhr, sondern 5 Uhr früh gehalten, denn man befürchtete wegen der Brechruhr. Weihnachten Abend wurde im Concert Haydn's 'Jahreszeiten' gegeben. Dem Toni schreibe ich auf seinen Namenstag. - Jene 10 Gulden, welche mir Wolfinger schickte, waren Monatgelder; ich habe sie, sowie die 13 fl 30 +er dieses Monats, noch nicht abgeholt. Sind Malis Musikalien angekommen? Spielt es sie oft? Was macht Peter, David, Seffa? -
Heute (Freitag) zum erstenmal Schlittbahn. Ich gebe jetzt eine Harmoniestunde, welche mir wöchentlich 2 Vergeltsgott bringt! Ich freue mich recht auf Vaduzer Briefe - indem ich obige herzlichen Wünsche nochmals wiederhole, verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.
München, 29.12.54.

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[1] 'Samiklos' = St. Nikolaus, hier synonym mit "Christkindchen".