Rheinberger berichtet den Eltern von seiner ersten Sinfonie in D-dur, JWV 41 für grosses Orchester und das Streichquintett in D-dur, JWV 35.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Vater Johann Peter Rheinberger
18. Juni 1855, München


Theuerster Vater!
Aus Ihren verehrten Zeilen ersah ich zu meinem Leidwesen, dass sich ihr Fussleiden noch nicht gehoben hat, hoffentlich aber wird es seit dieser Zeit besser geworden sein. - Nun zu meiner Symphonie. Letzten Freitag nachts wurde ich damit fertig. Hr. Prof. Schafhäutl glaubt, sie werde sehr gefallen. Sie beträgt 160 Seiten und ist die angestrengte Arbeit von 2 Monaten. Nun ist sie beim Buchbinder und wird trotz einem Ant. Rheinberger, Ritter des Papier- und Lederordens etc. sehr schön eingebunden. Von deren Gelingen kann vielleicht manches abhängen. - - -
Übermorgen wird sie Hr. Lachner vorgelegt. Dann zur Oper: Zwei Akte habe ich von meinem Dichter erhalten, zwei soll ich noch bekommen. Die Ouvertüre habe ich schon skizziert, und noch manches andere, aber in Partitur zu setzen werde ich noch warten, bis ich's beisammen habe. Vielleicht bald Näheres darüber. - - -
Lisis Bestellung gab ich heute post. rest. Sevelen [1] an Fräulein Elise Rheinberger auf die Post, nebst den Photographien von Vaduz und meiner Wenigkeit; Donnerstag kann es jedenfalls nach Sevelen gehen; auch habe ich dem Mali ein Briefchen beigeschlossen. -
Das Konzert des Oratoriumsvereins war ein geschlossenes, nur den ausserordentlichen Mitgliedern zugängliches; deswegen konnte nichts in der Allg. Ztg. sein. - Hr. Müller von Balzers bedaure ich sehr und wünsche ihm von Herzen Besserung; ihm und seiner werten Familie viele Grüsse von mir. - - -
Der Nachfolger des Hr. Herzog heisst Scherzer, ein Verächter unserer Kunstheroen, was Zeugnis genug ist; er macht mir bei jeder Gelegenheit Complimente über mein Quintuor, welches er zufällig hörte; auf der Orgel jedenfalls nicht schlecht, aber könnte kaum eines Herzog's Kammerlakai sein.
Von Toni habe ich noch keine Rückantwort, hoffentlich wird er seine Sendung zu seiner Zufriedenheit erhalten haben. - - Was machen Postmeiers? Besuchen sie uns oft? Viele Grüsse an alle. -
Nach der Aufführung meiner Symphonie werde ich jedenfalls gleich schreiben und Bericht erstatten. - Doch nun ist es Zeit, in den Oratoriums-Verein zu gehen. Indem ich Ihnen, Theuerster Vater! vielmals meinen kindlichen Dank für Ihre väterliche Sorge erstatte, verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger
München, den 18.6.55 bei April-Wetter.

Die Mutter lass ich grüssen!!

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[1] Sevelen = Schweizer Nachbargemeinde von Vaduz