Josef G. Rheinberger bedankt sich bei seinen Eltern und erzählt vom gestrigen Oratorien=Vereins=Concert.


München, auf Davids=Tag 1856
Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern

Theuerste Eltern!
Nicht um zu gratuliren schreibe ich Ihnen, Beste Eltern! sondern um den tiefgefühlten Dank eines Sohnes, der Ihnen Alles verdankt, darzubringen.
Möge es Ihnen, Theuerste Eltern! Gott lohnen; ich kann nie genügend diese Schuld abtragen. Sicher werde ich aber Alles das vollbringen, was Eltern von einem sie kindlich liebenden Herzen verlangen können. Ich wünsche Ihnen daher alles Gute, was der Geber alles Guten Ihnen nur spenden mag, nicht nur zum neuen Jahre, sondern für Ihr ganzes Leben. Doch mit blossen Wünschen ist nicht viel gethan, darum bitte ich Gott, die Wünsche meiner heissgeliebten Eltern zu gewähren. -
Gestern Abend hatten wir Oratorien=Vereins=Concert, wobei ich auch zu thun hatte. Ihre Majestäten beehrten den Verein mit Ihrer Gegenwart.
Prof. Herzog ist von Erlangen hieher gekommen, und hat mich auch besucht.
Prof. Schafhäutl und Maier lassen Alle herzlichst grüssen. Mit Schrecken sah ich an dem ausgebliebenen Christkindl, dass durch den Schweizerkrieg [1] schon die Posten unterbrochen sind. - Hat Toni mein Paquet mit Brief erhalten, oder, hat es etwa ein kriegesmuthiger Schwitzerhoppma [2] aufgefangen? Von hiesiger Hochschule sind alle Schweizerstudenten abgezogen, um in ihrer Heirnat den Morgenstern zu handhaben; (das nämliche aus Würzburg und Erlangen). (Tel=Dep:v. heute Morgen:"Die hohle Gasse ist mit Pulver geladen worden, weil man lieber die ganze Schweiz in die Luft sprengen will, als dass ein fremder Tyrannen=Söldling diesen spartanischen Boden betreten darf. Dufour [3] hat auf allgemeinen Wunsch den Namen "Leonida" angenommen").
Vorgestern sah man hier einige preuss. Officiere. Muss Liechtenstein auch den Rhein besetzen? Was schreibt unser Ex= Lieutenant aus Chur darüber? Hier freut man sich, bis die Geschichte losgeht, damit es wieder zu lesen gibt.
Der Toni und der David und Lisi und Mali sollen mir schreiben.
Was macht die liebe Mutter? Ist sie gesund? Wir haben hier einen herrlichen Winter. Es ist kalt, aber immer schön. Alle Bekannten lasse ich grüssen; dem Herrn Vetter in Schaan alles Schöne.
In Erwartung eines ungeheuer langen - (nicht Neujahrszopf [4]) - Briefes verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.
München, auf Davids=Tag 1856

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[1] Schweizerkrieg = Neuenburg (Neuchâtel) gehörte zur Schweiz, unterstand aber als Fürstentum dem König von Preussen. Nach einern royalistischen Aufstand in Neuenburg weigerte sich die Schweiz, die Gefangenen herauszugeben. Preussen drohte 1856 mit Krieg, der jedoch durch Vermittlung anderer Staaten vermieden werden konnte.
[2] Schwitzhoppma = Schweizerhauptmann
[3] Dufour = Schweizer General (vgl. S.11l/Z.39)
[4] Neujahrszopf = Buttergebäck in Form eines Zopfes