Josef G. Rheinberger berichtet von dem letzten Konzert, das Seidel in dieser Saison veranstaltet.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Vater Johann Peter Rheinberger
1. Mai 1857, München


Theuerster Vater!
Gestern erhielt ich David's Brief, und kann nun auch Ihre Frage, ob ich nichts mehr zur Aufführung gebracht, gleich mit "ja" beantworten.
In dem IIIten Seidel'schen Conzerte liess ich ein neues Streichquartett aufführen, welches so gefiel, dass ich nach dern letzten Satze gerufen wurde. Ich bekam weit mehr Applaus, als alle übrigen Piecen. Die Hr. Lachner, Perfall, Schafhäutl, Maier, Leonhard sagten mir viel Schmeichelhaftes, und dess andern Tages kam sogar ein Hofmusiker in meine Wohnung, um mir zu gratuliren. Eine Recension lege ich hier bei; es sind noch nicht alle erschienen, jedoch werde ich die andern in meinem nächsten Brief einschliessen. Die andern auf dem Programm vorkommenden Componisten sind Münchener, mit Ausnahme Ludwig's, welcher Eleve des Prager Conservatorium's war. Über Ostern war ich nicht in Türkenfeld, erstens konnte ich wegen meinen Schülern nicht fort, und zweitens wegen dem Oratorienverein, welcher, um gleich nach Ostern ein Conzert geben zu können, in der Charwoche rnehrere Proben hielt und IIItens auch noch wegen dem Stimmenschreiben zu meinem Quartett und den Proben zurn IIIten Seidel-schen Concerte. Jedoch hatte ich Herrn Pfr. Wolfinger auf Ostern geschrieben und er hat mir mit 10fl geantwortet. Auf Pfingsten ging ich gerne hinaus, wenn ich wegen meinen Schülern fort könnte.

An Kleidern habe ich mir wieder angeschafft: Hosen, Gilet, und ein Paar Stiefel englisiren, und die anderen vorschuhen lassen: zusammen für 17f1 30+r; jedoch werde ich mir dieselben bald wieder verdient haben. ein Compositionsschüler steht wieder in Aussicht. Letzthin erhielt ich aus Lichtensteig [1] von der Frau Anette Wirth-Ackermann einen Brief, worin sie mir schreibt, dass eine Frl. Schwester von ihr (die ich gar nicht kenne) durch München kommen werde; ich solle die Güte haben, ihr die Merkwürdigkeiten Münchens etc. zeigen. -
Peter hat mir (wegen Nivellirinstrumenten) von Uznach [2] geschrieben, ich habe ihm sogleich geantwortet; ich wusste bisher nichts, dass er von Chur fort sei.
Hiemit [sic], Theuerster Vater! hätte ich so ziemlich meine wenigen Neuigkeiten abgethan; und das Beste ist, dass ich mich, Gott sei Dank! immer gesund und thätig befinde. Und da mir der David das Nämliche von Ihnen geschrieben, so freut es mich, dass es Allen gut geht.

Hr. Tichy's Aufträge habe ich längst erledigt, im Übrigen lasse ich ihn grüssen. Dem Toni und David werde ich circa Mitte Mai schreiben.
Wie geht es der lieben Mutter? Ich schicke ihr immer Grüsse, und erhalte keine zurück.
Auf die Ankunft des Hr. Adjunkt freue ich. mich sehr.
Hr. Pfarrer Wolfinger lasse ich besonders grüssen, da wir nun nicht mehr in "d'Müle [3]" spazieren gehen können.
Hr. Onkel in Schaan lasse ich auch grüssen, wenn die liebe Mutter einmal nach Schaan kommt, kann sie es ausrichten. Nun, bester Vater! leben Sie wohl, und erfreuen Sie bald mit ein paar Zeilen
Ihren Sie dankbarst liebenden Sohn
Jos. Rheinberger
München, d.1.5.57.
(In Allg. Z. No.118 ist meines Quartettes gedacht).

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[1] Lichtensteig = Ortschaft im Toggenburg (Kanton St. Gallen)
[2] Uznach = Ortschaft im Kanton St. Gallen
[3] in "d 'Müle" = in die Mühle