Josef G. Rheinberger berichtet von einem Besuch von Adjunkt Kessler und von Rezensionen in verschiedenen Zeitungen etc.


Brief Josef G. Rheinberger an die Eltern
Pfingstsonntag [12. April] 1857, München


Theuerste Eltern!

Schon lange erhielt ich keinen Brief mehr von Vaduz; dass ich ebenfalls schon lange nicht mehr geschrieben habe, findet seinen Grund darin, dass ich nichts zu schreiben hatte; ja doch; etwas habe ich zu schreiben, und das ist die Ankunft des Hr. Adjunkten Kessler nebst Gattin (geborene Netti). Er sagte mir, dass Sie sich, Theuerste Eltern! ganz wohl befänden, was ich von allen Vaduzer Neuigkeiten immer am Liebsten höre.
Ich ging mit Hr. Kessler täglich aus; er war etwas langweilig, wie immer: er sagte im Sinne zu haben nach Frankfurt, Stuttgart, Sigmaringen etc. zu gehen. Auch habe ich ihm Grüsse mitgegeben, obschon er keine mitbrachte. Doch, er wird schon in Vaduz angekommen sein und kann selbst diese Unwichtigkeiten erzählen, wenn er mag.
Was Peter hat, dass er mir auf meinen Brief, der ihm so sehr pressirte, noch keine Rückantwort ertheilt hat, weiss ich nicht. Will er vielleicht die Bestellung anderswo machen. Ist er noch in Uznach?
Mir geht es gut; ich bin immer gesund und thätig. Herrn Lachner habe ich letzthin wieder Compositionen zur Ansicht gebracht, in welchen er einen wesentlichen Fortschritt erkennen will; ich brachte ihm ein neues Streichquartett und einen doppelchörigen Psalm. Er war ausnehmend zufrieden und freundlich. -
Ich habe nun Aussicht, mein Oratorium "Jephtas Opfer" im Herbst durch den Oratorien-Verein zur Aufführung zu bringen; was mir hier bedeutenden Namen machen würde. Jedoch bitte ich, hievon noch Niemandem etwas zu sagen; es ist mir auch verbothen, hier es Jemandem mitzutheilen.

Seit Samstag regnet es unaufhörlich Tag und Nacht. Ich wäre desshalb nicht nach Türkenfeld gegangen, wenn ich auch nicht durch die Gottesdienste in der Sanct Ludwigspfarrkirche gebunden gewesen wäre. Ich werde dies dem Hr. Pfarrer Wolfinger dieser Tage schreiben.

Neuere Recensionen, worin auch mein Dm-Quartett beurtheilt ist, sind noch mehrere da, als im "Punsch", "Neuesten Nachrichten", Landboten, Münchner Theaterjournal, Landbötin, welche ich bei Gelegenheit schicken kann. In einer Kritik heisst es: Die interessanteste Nummer des Concertes sei mein Quartett gewesen. In der Neuen Leipziger musikalischen Zeitschrift steht, dass ein Hr. Egli aus Chur in dem dortigen Prüfungsconcerte des Conservatoriums eine ausgezeichnete Stimme an den Tag gelegt habe.

Nun, Liebe Eltern! weiss ich nichts Neues mehr von München, und hoffe, bald von Vaduz etwas zu erfahren. David und Toni meine herzlichsten Grüsse. Ich bin beiden noch Briefe schuldig. Hr. Pfarrer Wolfinger in Vaduz und Hr. Vetter in Schaan meine Empfehlungen.

Was macht die liebe Mutter? Theuerste Eltern! ich verbleibe
für immer Ihr dankbarster Sohn Josef Rheinberger
München, Pfingstsonntag 1857.

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