Josef G. Rheinberger informiert seinen Bruder über den Tod von Direktor Hausers Sohn, den Kapellmeister.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder
28. Juni 1857


Lieber Toni!
Das ist doch merkwürdig, dass ich Dir heute wieder schreibe, nicht wahr? Weisst warum? Weil mir langweilig ist. (Diesen Brief schreibe ich am Peter u. Pauls=Tag, er geht aber erst am Mittwoch mit dem Brief an den l[ieben] Vater ab.) Nach Hause zu kommen ist mir, so leid es mir ist, aus den an den Vater geschriebenen Gründen nicht wohl möglich. Doch was thut's? Ich hab' mich nichts verändert, bin ein wenig gewachsen, das ist Alles. Heute ist es so herrlich heiss (27' Grad Reaumur) das man gar nichts Gescheidtes denken oder schreiben mag. Demnach wirst Du mir verzeihen, dass ich Dir in Hemd ---------Ärmeln schreibe.
Dein u. Lisi's Brief haben mich serr keffrewedd.
Das Mali wird doch nicht kränklich sein? Ich werde ihm bald "a rechta lustig's Briefle schrieba." Was macht d'Seffa und d's Dovadle? bih ---------ha! muass ma doch gähna! Do kunnt ma Dorst öber, wenn's aso häss ischt [1]. (Jetzt ist's 1/2 2 Uhr!) Letzthin war ich wieder bei einer vornehmen Dame eingeladen, und da hat sie Lieder von mir gesungen, die ihr so gut gefielen, dass ich sie ihr sogleich schenken musste. Do häscht an Profit, jetz kann i's nochamol abschrieba [2]!
Goht di Gschäftle guat; söll' a dr amol an Gsell schecka [3]? Gestern hat es gebrannt (zu der Hez!) und da bin ich auch hinausgegangen um zuzusehen, as hätt aber net amol ordelig brennt , die dumma Lüt hens net amol brenna loh' sie hens in a ra 6/2 Stund scho glöscht ka [4]. Grad vis-a-vis von dem brennenden Haus war ein Biergarten und da sind die Leut hinein um zu zuschauen, und haben angefangen mit Bier zu löschen; die dummen Leut aber haben aus Versehen das Bier in die Gurgel geschüttet (und i o!) und s'dümmst ist gse, dass ma für s'löscha noch zahla hat müssa [5]. -
Dem Direktor Hauser sein Sohn (früher mein Professor) ist in Königsberg als Kapellmeister gestorben. Jetzt laufen die Frauenzimmer mit so breiten Reifröcken herum, dass letzthin Eine in einer engen Gasse stecken geblieben ist mit ihrem stählerndem Reif. Da hat man zuerst eine Locomotiv vorgespannt, man hat sie aber nicht herausgebracht; zuletzt musste man die Gasse abbrechen, um sie zu befreien; selbst gsehen hab ich das nicht, förwohr, förwohr. Auch tragen sie jetzt solche Hüte mit Fransen daran. Diese Hüte heissen Amazonenhüte, im Volke aber "Letzte Versuche", was viel richtiger ist. Deswegen müssen sie auch viel Spott erdulden. (Diess Capitel darfst Du auch Lisi und Mali zu lesen geben, wenn s'Lisi so einen "Letzten Versuch" will, so weiss es, dass ich schon öfters Spediteur war. Nix für ungut, ich hab es gut gemeint.)- Wenn Du Deine Gelder regulirt und vermehrt hast, so schreibe mir, damit ich Dir den Hr. Reineke schicken kann. Du wirst aber wahrscheinlich die Holzschnittausgabe wollen, da die Stahlstichausgabe auf einige 20fl kommt.
Gestern habe ich zum erstenmale neue deutsche Vereinsthaler [6] (zu 1 fl 45+r) gesehen, diese sind herrlich geprägt. Ich wünsche Dir davon die ganze "Helena" voll.
Wie stehen in Vaduz die Feldfrüchte?
Macht heuer der Rhein keine Angelegenheiten? Sonst müsste man den Peter wieder berufen, der würde den Rhein schon mores lehren. Heuer werden wir nicht wieder "Sebastopol" spielen, und das ist gut für Deinen Geldsack!
Net wohr?
Jetzt, Brüderle, bhüati! Am Fritig um 9 Uhr Abends, trink i a Schöppli (oder 2) uf di's und's David's Wohi. Und am Fritig (den 3ten Juli) um 9 Uhr musst Du und der David (wenn er net Schtrucha hat) a Gläsle trinka uf's Wohl vo dim Bruader
Peppi Rhibärgar
Münka, am so und sövelta [7].

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[1] Uebertragungen:
Da bekommt man Durst, wenn es so heiss ist.
[2] Da hast Du den Profit, nun kann ich es noch einmal schreiben.
[3] Geht Dein Geschäftchen gut, soll ich Dir gelegentlich einmal einen Gesellen schicken?
[4]… es hat aber nicht einmal ordentlich gebrannt, die dummen Leute liessen es nicht brennen, sie haben es nach einer 6/2 Stunde schon gelöscht gehabt.
[5] … (und ich auch) und das Dümmste war, dass man für das Löschen noch zahlen musste.
[6]
deutsche Vereinsthaler = Auf Grund des "Wiener Münzvertrages" von 1857 gaben die deutschen Bundesstaaten Silbermünzen heraus, die in allen Mitgliedsländern des Deutschen Bundes gültig waren. Diese Münzen nannte man Vereinsthaler. Liechtenstein prägte als erste eigene Münzen seinen Vereinsthaler im Jahre 1862.
[7] Jetzt, Brüderle... = Jetzt, Brüderchen, behüte Dich Gott! Am Freitag um 9 Uhr Abends trinke ich ein Schöppchen (oder 2) auf Dein und Davids Wohl. Und am Freitag (den 3. Juli) um 9 Uhr rnusst Du und David (wenn er nicht erkältet ist) ein Gläschen trinken aufs Wohl Deines Bruders Pepi Rheinberger
München, den so und sovielten...