Josef G. Rheinberger erzählt seinem Vater von der Pulverexplosion des Eisenhändlerhauses neben dem Karlsthor.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Vater
16. September 1857, München


Theuerster Vater!
Aus David's liebem Briefe erfuhr ich unter andern Neuigkeiten die Wichtigste, Ihre Pensionirung, welches mich ungemein überraschte. Da mir David nichts Näheres angab, so fürchtete ich anfangs, dass Sie, Bester Vater! vielleicht wegen Kranklichkeit sich pensioniren liessen, hoffe aber zu Gott, dass dem nicht so sei! Auch schrieb mir David, dass wir nun "heimini [1]" ziehen. In Betreff des Oratorienvereinsgeldes von 1855 (45f1) kann ich nichts Näheres angeben, als dass Hr. Prof. Maier es mir mit dem andern Gelde zukommen lassen haben wird, ohne es eigens zu verrechnen. Ich konnte und kann ihn natürlich nicht fragen, wie er das oder jene gehalten. Nur gestehe ich zu, dass da mir die ganze Unterstützungsangelegenheit zu delicat und génant ist und war, ich inuner unterliess, Herrn Prof. Maier darüber zu befragen, da er ja ohnehin mein erster Wohltäter ist und bleiben wird. (Hr. Maier ist gegenwärtig in Heidelberg für die hiesige Hofbibliothek mit Ankauf von Werken beschäftigt). Am St. Maria-Geburtstag wurde endlich meine Messe in der St. Ludwigskirche aufgeführt. Die Proben der Messe bezahlte (ohne mein Vorwissen) Hr. Prof. Schafhäutl. Die Messe wurde sehr gut gesungen, (da das Personal aus Hofsängern und Hofsängerinnen bestand),und gefiel ungemein gut; so dass sie nächstens wiederholt werden soll. Dass Herr Oehry mich besuchte, wird er Ihnen, Bester Vater! wohl erzählt haben, auch dass ich nicht von ihm Abschied nehmen konnte, weil ich ihn weder bel Oberpollinger, noch sonst wo treffen konnte.
Nun die Hauptsache: Gestern Dienstag flog Nacht's 1/2 11 Uhr (gerade vor 24 Stunden; da es jetzt auch 1/2 11 Uhr Nachts ist,) das Eisenhändlerhaus neben dem Karlsthor in die Luft, und zwar in Folge einer Pulverexplusion. Bis heute früh 6 Uhr fand man bereits fünf schrecklich verstümmelte Leichen. Hr. Lampert wohnte in dem nämlichen Haus; und heute las ich in der Liste der lebensgefährlich Verwundeten auch ihn, seine Frau und Kind; näheres konnte ich leider nicht erfahren. Nun bitte ich, falls Hr. Lampert in Vaduz nicht schon Nachrichten hat, diese ihm auf's Schonenste mitzutheilen.
Die Explusion war schrecklich. Die Hausthüre und Fensterstöcke des Hauses flogen bis nahe an die Michaelskirche. Der Hausknecht des Hauses allein blieb unbeschädigt, obschon er samt seinem Bette vom Estrich des Hauses in die Luft fuhr, und vor die Hausthüre des "Oberpollinger" geschleudert wurde. (Aus der nämlichen, nun in die Luft geflogenen Eisenhandlung hat Hr. Oehry die Werkzeuge für Toni besorgt.) In der Ludwigskirche spiele ich die Orgel, so oft ein gesungenes (nicht Choral=) Amt ist, und erhalte für jeden Dienst 24+r. Nun werde ich jetzt wahrscheinlich in der Theatinerhofkirche immer Orgel spielen. Ich würde dort nicht mehr als alle Sonntage ein Amt zu spielen haben, und für jedes Amt ungefähr einen Gulden bekommen. Morgen werde ich mit dem dortigen Chorregenten unterhandeln. -
Ich muss nun schliessen, weil mir die Augen weh thun; daher auch die schlechte Schrift. -

Nun, Theuerster Vater! Leben Sie wohl; indem ich hoffe, dass Sie und die liebe Mutter und Geschwister sämtlich gesund sind, verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.
München, den 16ten Sept. 1857. Mittwoch.

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[1] "heimini" = Nach seiner Pensionierung musste Rentmeister Peter Rheinberger die Dienstwohnung, in der Josef aufgewachsen war, verlassen. Er zog "heimini" (heim hinein) in sein altes Vaterhaus. Dieses trug die alte Hausnummer 19 und stand an der Stelle, wo heute das Bürohaus Städtle 36 steht. Josef konnte sich nur sehr schwer mit diesem Wohungswechsel abfinden. (vgl. auch Ss. 280 und 289)