Josef G. Rheinberger erzählt seinen Eltern, dass er viel zu tun habe und von dem Gespräch mit Hr. Director Hauser.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
3. Dezember 1857, München


Theuerste Eltern!

Vorerst muss ich um Entschuldigung bitten, dass mein Brief um 2 od. 3 Tage zu spät daran ist. Ich habe nur desswegen gewartet, weil am 1ten Dezember das erste Seidel-sche Museum's Concert stattfand, wobei ich ein Quartett für Oboe, Horn, Cello und Clavier zur gelungenen Aufführung brachte, und selbst die Clavier=Partie spielte. Doch sollen das Nähere erst die gedr/uckten/ Recensionen bringen, welche diese Tage erscheinen rnüssen und die ich dann mit Malis Hütchen schicken werde.
Durch Lisi und Mali's Briefchen habe ich erfahren, dass wir nun nicht mehr in unserm frühern Haus wohnen, und dass die liebe Mutter sich besonders schwer in dem neuen Domizilium angewöhnt hat, was ich gern glauben will. Im Übrigen erfuhr ich durch besagte Briefe, dass Sie sich, Theuerste Eltern! wohl befinden. Ich kann, Gott sei Dank! auch das Nämliche von mir sagen. Schüler habe ich genug, so muss ich z.B. an den Dienstagen und Freitagen Nachmittag's allein 4 Stunden geben, und diese Stunden nehmen mir die Zeit von 1 - 7 weg, wo ich müde heimkomme und dann das Glück habe, bis 12 Uhr nachts an meiner Arbeit zu sitzen, wenn ich ein opus fördern will. So musste ich in letzter Zeit "Jephtas" umarbeiten, Stimmen ausschreiben, Sinfonie schreiben etc. und so bin ich seit 3 Wochen keine Nacht vor 12 Uhr in's Bett gekommen, und musste schon einigemale um 6 Uhr früh Rorate spielen.
Doch befinde ich mich immer gesund und wohl, und habe auch noch für letzten Sonntag ein Offertorium geschrieben, welches in der Theatinerkirche gesungen wurde.
Meine neue Sinfonie und erwähntes Quartett habe ich vor 14 Tagen Lachner gezeigt, welcher sich äusserst günstig äusserte.- Und nun ein Weltwunder! Hr. Director Hauser liess mich letzthin zu einer Tasse Kaffee einladen, ohne dass ich mich ihm seit 3 Jahren nur im Geringsten näherte. Er war sehr freundlich, und that, als wenn ich sein liebster Schützling wäre; doch traue ich ihm nicht. Hierauf wurde noch etwas musicirt, und dann empfahl ich mich höflichst. Mein Oratorium "Jephta's Opfer" wird von nächsten Mittwoch an einstudirt werden. -
Letzthin war ich zu einer Soirée bei Maler v. Dürk eingeladen. Dort wurde eine Arie aus Jephta von einer Frau von Hoffnaass (sie lernt auch Harmonielehre bei mir) vorgetragen, und dacapo verlangt. Auch zwei andere Damen vom Oratorienverein wollten Generalbassunterricht nehmen, was ich aber ablehnte, indem ich vorgab, keine Zeit mehr erübrigen zu können. Von Hr. Prof. Maier viele Grüsse. W. Briem besuchte mich einigemale, und sagte, er hätte durch seinen Vater Grüsse für mich aus Vaduz bekommen. Er befindet sich wohl, und ist, wie es scheint, fleissig.

Ich freue mich sehr, bald Nachrichten aus Vaduz zu bekommen, und verbleibe, indem ich Sie, Theuerste Eltern und Geschwister herzlichst grüsse, Ihr dankbarster Sohn und Bruder

Jos. Rheinberger
kgl. Hoforganist.
München, d. 3.12.57.

NB: Kunt hür der Samiklos [1]?

______________

[1] Kunt hür der Samikios = Kommt heuer der St. Nikolaus?