Kurz vor Weihnachten schreibt Josef G. Rheinberger von seinen Musikschülern und dem Spielen der Christmette.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder Anton
21. Dezember 1857, München


Lieber Bruder!

Schon lange wünschte ich Dir zu schreiben, konnte aber nie so recht Zeit finden, bis'heute, wo ich gerade ein halbes Stündchen frei bin.
Beiliegenden Brief wirst Du dem Mali geben. Was soll ich Dir nun schreiben? Dass es heuer ein schöner Winter ist? Das kann ja in Vaduz auch sein.
Mir geht es gut. Ich habe circa 10 Schüler und Schülerinnen, von diesen lernen 7 Klavier und die anderen Harmonielehre. Ich habe schon einige Stunden zurückgewiesen, weil ich für mich zum componiren doch auch etwas Zeit übrig haben muss. Das Schlimme mit den Stunden ist eben, dass man mit einer Stunde mehr als eine Stunde Zeit verliert, weil hier alles so weit auseinanderwohnt, und es nicht der Mühe werth ist, nur auf ein halb Stündchen heim zu laufen. Ferner soll man überall propre und nobel erscheinen, wenn man gleich eine halbe Stund weit im Schmutze dahinzupatschen hat; und da helfen die Gummiüberschuhe auch nicht immer. Abends bin ich fast immer in einem angesehenen musikalischen Hause zum Thee eingeiaden, wo dann von 7 - 12 Uhr gemusiziret wird. Auf den Christabend hätte ich zwei Einladungen, werden aber beide ausgeschlagen, well ich um 12 Uhr die Christmette zu spielen habe. Zum Samiklos hätte ich von Herzen gerne dem Mali oder Lisi etwas beigefügt, aber in letzter Zeit habe ich für Kleider, Stiefel und Holz etwa 40fl ausgegeben, und muss so wie so immer 24fl alle Monat an die Perstenfeld's bezahlen, und da kann ich heuer keinen Samiklos schicken. Wie geht es in Vaduz? Was machen unsere theuren Eltern und Geschwister? Schreib' mir doch einmal darüber, seidem wir dahämdin sind.
Hast Du viele Arbeit?
Wie geht as dem Peter in Kreuznach?
Und was treibt der David immer?
Hätt er öppa d'Strucha , dass i nüt vonam höra tua [1]?

Grüsse mir den l/ieben/ Vater und die Mutter herzlichst, es gehe mir gut, und ich werde ihnen auf's neue Jahr schreiben. Jez, Bruader! bhüati Gott und schrib bald dim Brüaderle z' Münka dossa, wo hässa duat
Jos. Rhibärger [2]

Hof=Organist mit 60fl Gehalt

München den 21.12.57.

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[1] Hätt er öppa d'Strucha... = Hat er etwa den Schnupfen, dass ich nichts von ihm höre?
[2] Jez, Bruader... = Jetzt Bruder, behüte Dich Gott und schreibe bald deinem Brüderchen in München draussen, des da heisst Josef Rheinberger.