Josef G. Rheinberger kritisiert, dass ein Zeugnis in Vaduz verloren ging und er sich für das Ministerium ein neues ausstellen lassen musste, um sich für Klavierlehrerstelle am Konservatorium zu bewerben.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
31. Mai 1858, München


Theuerste Eltern!

So angenehm mir Ihr letztes liebes Schreiben gewesen, so war es mir doch äusserst fatal, dass das bewusste Zeugniss sich nicht vorgefunden hatte. Da ich dasselbe nie in Handen hatte, so muss es wohl noch daheim sein.
Weil ich in meiner Eingabe schon bemerkte, dass ich ein Zeugniss des Hr. G.-Director Lachner in wenigen Tagen einsenden werde, so war ich nun in der unangenehmen Lage, dies dem Hr. G.-Director Lachner zu sagen und um ein neues Zeugniss zu bitten. Ich erhielt dasselbe (eine Abschrift davon beiliegend) und trug es aufs Ministerium nach. So weit alles gut. Ob nun Aussichten für mich vorhanden, kann ich Ihnen, Beste Eltern! nicht sagen - Hr. Prof. Maier glaubt, dass sich die Sache wegen der nahen Ferien bis aufs nächste Schuljahr (vom 15ten September an) hinausschleppen werde, und so wollen wir denn abwarten, ob etwas daraus wird oder nicht. Unterdessen bitte ich natürlich, niemandem etwas davon sagen zu wollen, da auch hier nur Wenige davon wissen.- Dem Peter habe ich vor kurzem erst geschrieben, aber noch nicht Antwort erhalten.
Das ist nun Alles, Theuerster Vater! was nun von Belang wichtig genug ist, Ihnen zu schreiben. Im Übrigen hoffe ich den Monat August und die Hälfte September wenigstens bei Ihnen daheim verbringen zu können und freue mich herzlichst, alle unsere Lieben zu sehen.

Der Toni schrieb mir unter Anderm auch von seinem neuen Freunde, Hr. Urbanegg - wer ist denn der?
Wie geht es der lieben Mutter? Sie schickt mir selten Grüsse - was sonst nicht die Art der Bündner ist.
Und was macht die Seffa, von der ich seit 1 1/2 Jahren nichts mehr gehört? Da ist der Toni und der David (wenn er z' Strucha net hät und si Pfifli guat brennt [1]) und's Mali und Lisi schon fleissiger, und geben doch hie und da Lebenszeichen von sich. Also d'Seffa "Befola z'grüassa", und dazu recht herzlich.
Heuer hatte ich bunte Musterkarte von Schülern, als da sind: 1 Regierungs-Comissär, 1 Lieutenant (v. Baligand), 1 Offiziers-Frau, 1 schlesische Rittergutsbesitzerstochter, 1 Cooperator (Namens Schweitzer aus Baden) 1 Gräfin (Luxburg). Eine Frau v. Pacher hat mir auf nächsten Winter zurn Unterricht für ihre Tochter auf täglich eine Stunde engagiert, wofür ich denn doch 15 fl monatlich verlangen darf. Und wenn ich nun so viel zu laufen habe, und zu laufen haben werde, können Sie doch unmöglich verlangen, dass ich noch wachsen soll! Gestern habe ich ausgerechnet, dass ich seit Herbst 1856 für Kleider und Stiefel accurat 100 fl bezahlte; und doch treibe ich hierin keinen Luxus.
Nun weiss ich nichts mehr. Alles Andere kann man sich mündlich weit besser erzählen.

Unsern Hr. Pfarrer in Vaduz lasse ich herzlichst grüssen. Nun leben Sie, Theuerste Eltern! recht wohl und gesund, bis es vergönnt ist, Sie zu sehen, Ihrem dankbaren Sohne
Jos. Rheinberger.
München, den letzten Mai 1858.

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[1] (wenn er z'Strucha net hät...) = wenn er nicht den Schnupfen hat und sein Pfeiflein gut brennt.