Josef G. Rheinberger erzählt seinen Eltern, dass er von Prof. Maier 6 grosse Orgelsonaten von Mendelssohn geschenkt bekommen hat. Er berichtet vom Stimmen Abschreiben - ist ein langweiliges Geschäft seiner Meinung nach.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
o.O. [vermutlich München]


14. Dezember 1853
Theuerste Eltern!

Meinem Versprechen gemäss beeile ich mich jetzt, an Sie zu schreiben, allein wenig Neues - das beste ist, dass ich mich immer wohl befinde, ausgenommen, dass ich vor einigen Tagen nicht ausgehen konnte, well mir ein Nagel in den Zehen wuchs, nun aber kuriert ist, jedoch musste ich zwei Unterrichtsstunden versäumen, die ersten in diesem Jahr.
Prof. Maier schenkte mir 6 grosse Orgelsonaten von Mendelssohn. Seit einiger Zeit befinden sich zwei polnische Virtuosen hier, zwei Brüder, von welchen der eine auf dem Klavier, der andere auf der Violine eine wirklich unerhörte Fertigkeit besitzen. -
Nächsten Samstag soll in der grossen Ensemble meine Cantate probirt werden, bis dahin muss ich noch 16 Stimmen u. eine Partitur davon abschreiben, ein höchst langweiliges, zeitraubendes Geschäft.-
Für Hr. Prof. Schafhäutl, welcher sich allen höflichst empfehlen lässt, componire ich zum 'Kristkindl' (wie man hier sagt) ein Offertorium, mit welchem ich mir viele Mühe gebe; überhaupt habe ich zu kirchlichen Kompositionen mehr Lust und Talent als zu andern.
Hr. Pf. Wolfinger war vor 14 Tagen bei mir und lasst alle recht schön grüssen.
Morgen (15ten Dezember) sollte ich das 2te Semester bezahlen, deshalb würde ich Sie, Theuerste Eltern! bitten, mir das Geld zu schicken, indem es mir unangenehm wäre, wenn ich vom Direktor gemahnt würde. Auch muss ich diesen Monat noch die Aufenthaltskarte verlängern lassen.
Ich werde gewiss wenn möglich meinen Fleiss vergrössern, denn ich weiss gewiss, was es Ihnen für Opfer kostet - ich unterlasse nie, den Himmel anzuflehen, mir es bald möglich zu machen, es Ihnen nach Wunsch zu vergelten. -
Hat Mali das

[Notenbeispiel]

erhalten? Von Lise u. Toni erwarte ich zum Christkindl einen langen Brief - und indem ich hoffe, dass mein Brief Sie in erwünschtem Wohlsein treffe, verbleibe ich Ihr
dankschuldigster Sohn
Joseph Rheinberger.

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