Josef G. Rheinberger bedankt sich bei seinen Eltern für die grosse Unterstützung in allen Belangen und berichtet von der Fertigstellung seines Offertoriums und der Aufführung der Cantate.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
o.O. [vermutlich München]


den 30.12.53
Theuerste Eltern!
Der Jahreswechsel erinnert mich wieder an die heilige kindliche Pflicht, den Eltern, welche mit so vieler Aufopferung die Ausbildung ihres Sohnes verfolgen, die herzlichste Danksagung darzubringen und Sie darum ferner zu bitten.
Ja, Theuerste Eltern! ich weiss es, welche Opfer ich Sie koste, weiss es, dass dieses nur die aufopfernde, väterliche und mütterliche Liebe thun kann; aber ebendeswegen bestrebe ich mich immer mehr, mich dieser Ihrer Opfer würdig zu bezeigen. Nicht durch Worte kann ich all dieses ausdrücken, nein, nur durch That kann ich's - Sie werden sehen, es soll Ihnen, sobald es in meiner Macht liegt, so viel es möglich ist, vergolten werden. Darum flehe ich Gott immer an, mir die nöthige Gnade dazu zu verleihen und meine Theuersten Eltern gesund zu erhalten, bis sie gute Früchte meines Fleisses sehen werden. Der Himmel weiss es, es sind dies nicht leere Versprechungen; nein, es sind die Worte des festesten Vorsatzes. -
Über die Weihnachtsferien (8 Tage) habe ich ein grosses Offertorium (op. V) componirt und den Professoren vorgelegt. Hrn. Professor Schafhäutl, welcher alle freundlichst grüssen lässt, habe ich auch ein Exemplar geschenkt und seinen Beifall erhalten. Er befindet sich längst wieder wohl. -

Meine Cantate hat Samstag die Freude erlebt, aufgeführt zu werden. Hr. Direktor hat mich sie nicht auf der Orgel begleiten lassen - (wegen dem Salis'schen Groll) dafür habe ich ihm's Dirigiren ein bisschen sauer gemacht. Die Cantate hat sehr gefallen - die Professoren drückten mir die Hand - einer hat mir gar gratulirt, aber am meisten freuten mich einige süss-saure Gesichter unter den Kollegen.
Die 28 fl habe ich erhalten - den Christkindlgulden der Mutter habe ich dem Conservatoriumsdiener als Trinkgeld gegeben (fürs Orgelziehn)[1]. Das Geld vom Peter habe ich zu Handschuh verwendet.
Allen meinen herzlichsten Dank. Ich befinde mich immer munter u. wohl u. lass alle, besonders die liebe Mutter, grüssen.
A glöckseligs neus Jahr, i komm an Krüzer öbr, I bi a Vadozner [2].
Ich verbleibe Ihr dankschuldigster
Sohn
Joseph Rheinberger.

______________

[1] fürs Orgelziehn = der Blasbalg der Orgel musste durch Anziehen von Stricken in Tätigkeit gesetzt werden.
[2] A glöckseligs neus Jahr, i komm an Krüzer öbr, i bi a Vadozner = ein glückseliges neues Jahr, nun erhalte ich einen Kreuzer, denn ich bin ein Vaduzer (Mundart). Rh. spielt auf den Brauch an, dass in seiner Heimat die Kinder beim Neujahrwünschen ein Geldstück erhalten.