Josef G. Rheinberger zählt seine geschaffenen Kompositionen auf. Er berichtet von Hr. Professor Leonhard, welcher nach 9 Wochen Krankheit morgen wieder ausgeht.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern


München, den 20.2.54
Theuerste Eltern!
Gestern (Sonntag) mittags wurde ich sehr angenehm durch die zwei Brief (von Peter und Hr. Fetz) überrascht und konnte daraus entnehmen, dass Sie sich wohl und munter befinden, was gottlob bei mir auch der Fall ist. Jedoch wunderte ich mich, wie Peter schrieb, dass alle so besorgt um meine Gesundheit seien, da ich in meinem letzten Briefe versicherte, dass ich wiederhergestellt sei!? - Ich kann nun, Gott sei Dank, schon seit Anfang Februar die Unterrichtsstunden wieder besuchen und bin seit meiner Krankheit viel wohler als zuvor. Bei meinem ersten Ausgehen aber meinte ich mehrere Male, ich könne nicht mehr nach Hause kommen, so rnatt und krank fühlte ich mich. Sobald ich wieder Bier trinken durfte, gewann ich wieder Kräfte und bin jetzt stärker als zuvor. -
Damit Sie sehen, Theuerste Eltern! dass ich nicht faul war, so will ich Ihnen meine Kompositionen herzählen: Sonate aus F-moll für Pianoforte, op. I. - Missa zu 4 Singstimmen und Orchester aus D-moll und dur, op. II. - Offertorium aus Es-dur für 4 Singstimrnen und Orchestre, op. III. - Sonate für Pianoforte aus C-moll, op. IV. - Grand Quatuor für II Violinen, Viola und Cello aus F-dur, op. V. Ausserdem noch: Grosse Fuge für die Orgel in F-moll (Herzog gewidmet) - ein Kyrie zu 5 - und ein zweichöriges Sanctus zu 6 Stimmen - eine Motette zu 4 Stimmen in A-dur - eine Menge Fugen, Versetten - Endlich habe ich ein Concert für 2 Klaviere angefangen, - kostet aber viele Mühe und Geduld - alles dieses war nur Nebensache, keine Aufgaben. -
Hr. Professor Leonhard wird morgen früh zum erstenmale wieder ausgehen, nachdem er 9 Wochen lang krank war zum Bedauern aller, die ihn kennen. -
Heute früh überraschte mich Hr. Pf. Wolfinger von Türkenfeld; er meinte, ich sei noch krank, denn Hr. Wolfinger (Müller) von Balzers habe ihm geschrieben, ich sei krank und der Vater habe seine Besorgtheit ihm (Müller) mitgeteilt. Hierauf sei es sein erstes gewesen, mich zu besuchen und er fand mich Gottlob! nicht im Bette, sondern gar nicht zu Hause, bis heute früh 10 Uhr beim Probst. -
Er lasst alle schön grüssen u. fuhr um 2 Uhr wieder fort. - Gestern holte mich Hr. Prof. Schafhäutl ins Theater ab (Freischütz) und - lässt alle grüssen. -
Heute, nachdem ich um 4 Uhr nach Hause kam, setzte ich mich, um zu schreiben, jetzt ist es bald 1/2 6 Uhr und wird finster, Morgen trag ich den Brief auf die Post, welcher Ihnen, Theuerste Eltern, die Nachricht bringt,
dass ich bin Ihr
dankbarster gesunder Sohn
Joseph Rheinberger.

(Ich habe Lisis Schlinge [1] mit Freude begrüsst. Herrn Fetz meinen und Hr. Wolfingers Gruss).
Und dem Toni - jetzt sieh ich nichts mehr.

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[1] Schlinge = gestrickte Halsbinde