J.G. Rheinberger entschuldigt sich mit vieler Arbeit, dass er so lange nicht geschrieben habe und klatscht ein bisschen über diese und jene.


Brief an die Eltern
11. November 1860, München



Theuerste Eltern!
Längst schon war es mein Wunsch, Ihnen zu schreiben, doch hatte ich seit Wochen so viel zu thun, dass ich nie nach Wunsch dazu kommen konnte. Da nun heute ein ruhiger Sonntag Abend ist und das Feuer lustig im Ofen prasselt, wird der Tisch zu diesem Wärmespender gerückt und ein Briefbogen geholt.
Das Neue, was ich zu berichten habe, lässt sich in Kürze sagen. Das Beste ist, dass Mali und ich gesund sind. Am Conservatorium geht alles seinen alten Gang. Hr. D. Hauser kränkelt immer und hat bereits die Hülfe eines wunderthätigen Bauern in Anspruch genommen; ich kam bisher immer sehr gut mit ihm aus und wäre mir ein Wechsel im Directorium nicht lieb.
Hr. Verwalter Bachör hat mir die Ehre seines Besuches nicht gegönnt. Auch Hr. Dr. Hemmi habe ich nicht gesehen, wohl aber Mali. Der Bruder des Hr. Schmutzer hat mich besucht. Hr. Louis Menzinger besuchte mich bei seiner Ankunft einmal, er wollte gar nicht zu Perstenfeld's gehen; endlich entschloss er sich doch dazu und wohnt jetzt dort, isst aber im Wirtshaus. Frau Perstenfeld sagte zu Mali, er scheine gar nicht zu studiren, indem er immer erst um 11 Uhr Mittags von zu Hause weggehe. Da einige seiner Wiener Kameraden nun auch hier 'studiren', so scheint er meine Gesellschaft entbehren zu können, indem er nicht mehr zu mir kam.
Hr. Pfarrer Wolfinger war einmal hier, hatte aber nur Mali zu Hause angetroffen, so dass ich ihn nicht gesehen habe. Wahrscheinlich werde ich diesen Winter einmal in den grossen Abonnements-Odeons-Concerten spielen, wenigstens hat Hr. Generaldirector Lachner mir diesen Antrag gestellt - ich will sehen, ob nichts dazwischen kommt!
Von Prof. Conservator Julius Maier alles Schöne, Grüsse und Empfehlungen, wie von Hr. Prof. Schafhäutl.
Hanni (Schwester Maxentia) hat mir vor 5 Wochen geschrieben und mir Liedertexte zum Componiren geschickt, welche ich im landwirtschaftlichen Style geschrieben und ihr zugesandt habe; doch bekam ich noch keine Rückantwort.
Wie ist die Ernte und Weinlese zu Hause ausgefallen? Hier ist alles sehr theuer, hauptsächlich das Holz. Wegen missrathener Hopfenernte soll der Preis des Bieres erhöht werden (um 1/3), man befürchtet desshalb im Winter Bierkrawalle. Der Herbst war sehr schön, seit 8 Tagen aber ist strenge Kälte mit Schnee, gestern hatte es elf Grad Kälte.
Wie geht es zu Hause? Hoffentlich befinden Sie sich, Theuerste Eltern! wohl und gesund, Gruss an Alle!

Einer baldigen Antwort entgegensehend verbleibe ich wie Immer
Ihr dankbarster Sohn
G. J. Rheinberger

München, 11.11.60.

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