J. G. Rheinberger schreibt, dass er seine "beste Zeit mit Dummköpfen vergeuden" müsse und ihm das "Schulmeistern" (der Klavierunterricht) zuwider sei. Liebend gern würde er nur noch komponieren, wenn er davon leben könnte.


Brief an seine Eltern
6. Februar 1861, München


Theuerste Eltern!

Aus Peters letztem Briefe entnahm ich mit grossem Vergnügen, da Sie sich in dem erwünschten Wohlsein befinden; ich kann Gottlob von mir und Mali das Nämliche melden - im Übrigen verfliegt ein Tag wie der Andere mit Arbeit und wiederum Arbeit und im Handumdrehen sind ein paar Monate verflossen; das merkte ich erst, als Mali mich dringend ermahnte, nach Hause zu schreiben, da schon 2 Monate seit meinem letzten Briefe verflossen seien.
Im Januar war ich mit Einladungen und Arbeiten so überhäuft, dass ich die letzten 14 Tage fast nie vor 1 - 1/2 2 Uhr Nachts zu Bette kam - und so glaube ich, dass mir eine Vakanz in Vaduz (ob der Wein sauer oder nicht) gut schmecken wird. Müsste ich nur nicht immer meine beste Zeit mit Dummköpfen vergeuden, so wollte ich was Rechtschaffenes zu Tage fördern; das Schulmeistern wird mir immer zuwiderer.
Wenn ich mein bescheidenes Auskommen hätte, ohne mich erst mit Schülern herumzubalgen, wollte ich gerne von früh bis spät an meinem Notenpulte sitzen und noch Tedeum singen dazu! Im Dezember spielte ich in den Abonnementsconcerten; so viel ich weiss, waren in der Allg. Zeitung ein paar Worte darüber. Lachner hat mich für kommende Saison wieder eingeladen, ein Mozartsches Concert mit Orchester zu spielen, zu dem ich zwei grosse Cadenzen componirte; er sagte mir, ich solle doch als Clavierspieler mehr aus mir machen, was mir bisher noch nicht eingefallen war. Im Januar spielte ich mein Klavierconcert, (welches ich in den Ferien schrieb) mit grossem Beifall in einer feinen Gesellschaft im Künstlerlokale bei Schafroth. Lachner zeigt sich mir sehr gewogen. -
Am Conservatorium geht alles seinen langweiligen Gang; mit Dr. Hauser komme ich bisher noch vortrefflich aus - am Neujahrstage bekam er einen Orden. Er sagte mir, seine Najestät hätten sich bei der Cour sehr zufrieden über die Anstalt geäussert. Sylvesterabend war ich bei Baron Banquier Eichtal eingeladen und lernte dort den Präsidenten der Abgeordneten-Kammer, Graf Dux-Hegnenberg kennen. Ich will sehen, ob uns die Abgeordneten die Gehaltserhöhung bewilligen; wenn nicht, so werde ich die erste gute Gelegenheit benützen, in eine bessere Stellung zu kommen. Mit Julius Maier komme ich ziemlich häufig zusammen.
Dass Peter seinen Wunsch erreicht, Tychi zu entfernen, freut mich ungemein; ich wünsche ihm einen zuverlässigen Lieutenant - was spricht man in Vaduz darüber?
Allenfallsige Plauderneuigkeiten werden in Malis beiliegendem Briefe sein.
Ich grüsse Alle, David, Seffa, Peter, Toni, Lisi von Herzen. Vor Allem aber Sie, Beste Eltern! In der Hoffnung, einmal wieder einen Brief von Ihnen zu erhalten, verbleibe ich wie immer

Ihr dankbarster Sohn
G. J. Rheinberger.

München, 6.2.61.

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