J. G. Rheinberger lässt seine Eltern wissen, dass es nichts Wichtiges zu berichten gebe, er nur für die Musik lebe und es ihm und Mali gut geht. Er erkundigt sich über den neuen Landesverweser in Vaduz.


Brief an die Eltern
7. April 1861, München


Theuerste Eltern!

Längst schon wollte ich Ihnen schreiben; ich wartete nur, um Stoff zu einem ordentlichen Briefe zusammenzubekommen, allein es wollte und will sich Nichts ereignen, das einen Brief füllen könnte. Doch kann ich Ihnen, Beste Eltern! berichten, dass wir Beide uns vortrefflich befinden, was bei Allem die Hauptsache ist. Bei mir verfliesst ein Tag wie der Andere im alten Schlendrian - 'Keine Ruh bei Tag und Nacht' vor lauter Musik, Kopf- und Bauchweh vor lauter Musik; komm ich von einem Tagwerk nach Hause, wartet schon ein Schüler; und wartet keiner, so gibts erst recht Musik. -
Von unserer Gehaltserhöhung verlautet noch Nichts, trotzdem, dass die Kammern schon seit Dez. v. J. versammelt sind - es heisst der Kriegsminister fresse wieder alle übrigen Gelder auf - wegen dem ewigen Napoléon - der also auf Umwegen Schuld ist, wenn wir keine Gehaltserhöhung bekommen. Freude erlebt man auch nicht viel am Conservatorium, obschon ich speciell nicht mehr klagen kann als meine Collegen.
Hr. Louis Menzinger [1] sehe ich fast nie. Louis Perstenfeld sagte mir letzthin, dass Ersterer sich nicht besonders auf die Ankunft seiner Eltern freue; er liege oft von 7 Uhr Abends bis 11 - 12 Uhr Morgens im Bett - oft gehe er gar nicht zum Essen aus und esse dann dafür nichts als Nüsse. Seine Eltern werden auch nicht sehr erfreut sein, in der Au zu wohnen, so etwas kann nur dem 'Wiggi' einfallen, der dann eine Stunde weit in die polytechnische Schule zu gehen hat. -

Peter, dem ich das nächstemal schreiben werde, wird seine Kugelpresse bereits erhalten haben. Ist sie nach seinem Wunsche ausgefallen?
Ist der neue Landesverweser [2] bereits in Vaduz eingetroffen? - auch möchte ich gerne Näheres über ihn erfahren. Da Mali und Lisi ohnedem fleissig correspondiren, könnte ich vielleicht durch diese Quelle Näheres inne werden. Welchen Eindruck macht der Landesverweserwechsel im Volke? Was hofft David davon? Hört man nichts mehr von unserm jungen Fürsten [3]? Wie steht es mit dem umprojektirten Vaduzer Kirchenbau [4]? Geht etwas vorwärts?
So könnte ich Seitenlang fortfahren, wenn nur gleich die Antwort da wäre.
I
m ersten Fasten-Academieconcert habe ich mit vielem Beifall gespielt - ich glaube es schon geschrieben zu haben.
Mit den Jul. Maier'schen kommen wir oft zusammen. - Auch Hrn. Prof. Schafhäutl besuche ich hie und da - er ist immer guten Humors.
Wie geht es Ihnen? Ich nehme an, dass Sie sich immer im besten Wohlsein befinden, da ich nie das Gegentheil hörte. Hoffentlich sehen wir uns diesen Sommer in Vaduz in erwünschter Gesundheit, mit welchem Wunsche ich, Theuerste Eltern! verharre als Ihr dankbarster Sohn

G. J. Rheinberger.

München, 7.4.61.

Die herzlichsten Grüsse an Alle!!!!!

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[1] Louis Menzinger = Sohn des von 1833 - 1861 in Vaduz wirkenden fürstlichen Landesverwesers Michael Menzinger.
[2] ... der neue Landesverweser = Karl Haus von Hausen, Landesverweser von 1861 - 1884
[3] ... unserm jungen Fürsten = 1858 hatte der 18-jährige Fürst Johann II. (1840 - 1929) die Nachfolge seines Vaters Alois II. angetreten.
[4] ... umprojektierten Vaduzer Kirchenbau = Seit 1854 plante man den Bau einer neuen Kirche. Verschiedene Schwierigkeiten, auch finanzieller Art, zägerten die Realisierung immer wieder hinaus, so dass erst 1868 mit dem Fundament begonnen werden konnte.