J.G. Rheinberger erklärt seinem Bruder David die derzeitige Lage in München, mit dem Beginn des Krieges, sind die Gedanken wo anders.


Brief an seinen Bruder David
6. Juli 1866, München


Lieber David!
Vor lauter Krieg und Politik kommt man kaum mehr dazu, einen vernünftigen und ruhigen Gedanken zu fassen - vielweniger niederzuschreiben. Ich weiss nicht, ob es Euch in dem friedlichen Rheinthal auch so geht - hier ist es wenigstens sehr ungemüthlich geworden. Den ganzen Tag Trommel und Exerziren, Politisiren, Landkartenstudiren und nun nach der so furchtbaren Demüthigung Österreichs die tiefste Niedergeschlagenheit - ich bin begierig, wo das hinaus soll. Man spricht davon, dass das Theater auf einige Zeit geschlossen werden solle - ich weiss nicht, ob etwas Wahres daran ist, andernfalls werde ich wahrscheinlich den Monat August als Ferienmonat wählen - etwas Bestimmtes kann ich aber noch nicht mittheilen.
Was soll mit Maly während des Sommers sein? Frau von Hoffnaass hat so halb und halb im Sinne auf einige Zeit nach Chur zu gehen, da könnte Maly mit und wäre nahe bei Hause. Was meinst Du? Oder wünscht Ihr, dass Maly nach Vaduz kommen soll? Schreibe mir darüber. Wie geht es Lisi? Ich leide auch an einem starken Husten (eigentlich seit 2 Jahren schon) und glaubte nach und nach an Lungenleiden; letzthin liess ich mich wiederholt ärztlich genau untersuchen. Der Arzt sagt, dass meine Lunge vollständig gesund sei; mein Leiden bestehe in einem chronischen Kehlkopfkartarrh, gegen welchen er nun mit Sool-Inhalationen einschreiten will, vielleicht muss ich die Ferien hindurch nach Reichenhall; der Arzt hat sich noch nicht bestimmt ausgesprochen. Wie geht es Euch allen zu Hause?

Muss Peter wirklich nach 'Garibaldien' [1]? Jetzt wahrscheinlich nicht mehr, da auch Venedig an Italien abgetreten ist. Ich speziell habe bei dem österreichischen Unglück auch Verlust, da ich vor einem halben Jahr für circa 400 fl österr. 3% Eisenbahnprioritäten (zum nominell. Werth von 1500 Francs) kaufte, was damals kein schlechter Kauf war; jetzt wird wohl die Hälfte hin sein, den Cours mag ich gar nicht nachsehn, weil einem schlecht werden könnte dabei.

Wie geht es den lieben Eltern? und dem Toni auf Burg Malepartus? Im Spätherbst wollte ich nach Leipzig um dort eine Sinfonie aufzuführen und hatte mich vorläufig schon mit der dortigen Concertdirektion benommen - nun der Krieg und mein 'österr. Besitzthum!'
Gelt, das ist alles recht gemüthlich! Vom Conservatorium ist unter diesen Umständen natürlich keine Rede. Nun behüte Dich der Himmel, grüsse die lieben Eltern und Angehörigen und schreibe bald

Deinem Bruder

Josef Rheinberger.

M. d. 6/7 66.

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[1] "Garibaldien" = humoristisch für Italien, in dem damals Garibaldis Freischaren für die Selbständigkeit kämpf ten.