Eine Kritik der Aufführung von "Neusten Nachrichten" lobt J.G. Rheinbergers Stück.


Bericht von "Neusten Nachrichten"
München, 15. November 1866


Es verdient allgemeinen Dank, dass die Hofbühne eines der besten Calderon'schen Autos sakramentales 'Der wunderthätige Magus' hervorsuchte und es mit allem Eifer einstudirte und in Szene setzte. Das Stück führt den grossen spanischen Dichter in einer seiner charakteristischten Schöpfungen vor und zeigt uns recht lebendig den Abstand seiner Zeit und Denkweise von der unsrigen. Desswegen aber weil uns die Anknüpfungspunkte fehlen, weil das Reinmenschliche, das zu allen Zeiten verstanden wird, in dem Stücke keine Vertretung findet, hinterlässt dasselbe keinen tieferen Eindruck und nur das literaturhistorische Interesse ist es, das uns eine wiederholte Aufführung empfiehlt.

Wir finden da verschiedene Dinge, die uns Spätgeborne unangenehm berühren oder von uns nicht mehr ganz begriffen werden; wir stehen oft kalt und theilnahmslos, während auf der Bühne geweint und gejammert wird, und dem Fortgang der Handlung blicken wir ohne tiefere Sympathie zu: das Herz nicht, nur der Verstand betheiligt sich an dem Stücke, über welches die Mystik, die Feindin des Sonnenlichts, ihre Dämmerung ausgegossen hat. Die erste Hälfte ist trotz der geistreichen, zuweilen aber einem polternden Gongorismus huldigenden Schrelbweise von ermüdender Breite. Hier sollte die Regie streichen, wo sie nur könnte; die Reden müssten gekürzt, die Diener, deren Rollen ohnehin schon bis zur Unkenntlichkeit verschnitten sind, könnten füglich ganz weggelassen und die ersten zwei Akte in einen zusammengeschoben werden; da ferner die lange Erzählung des Lysanders nichts gîbt, was für das Stück von Vortheil wäre, so könnte auch sie fallen. In fünf Akte zusammengedrängt würde das Trauerspiel ein erhöhtes Interesse gewinnen, das allerdings noch dadurch vermehrt werden könnte, wenn man die kurzen Verse, die zu sprechen die wenigsten Schauspieler vermögen, in fünffüssige Jamben umändern würde. So wie das Stück jetzt vorliegt, ist es nur in seiner zweiten Hälfte spannend und anregend und es werden darum wohl nur Wenige, die es zum ersten Mal gesehen, auch wieder der zweiten Aufführung beiwohnen.

Den Inhalt des Stückes können wir mit kurzen Worten geben: Cyprianus ist ein gelehrter Mann, dessen Geist in den Wissenschaften kein Genüge mehr findet. Desshalb dringt er forschend rastlos vorwärts, bis er trotz der Widerstrebungen des bösen Dämons vom Wissen endlich zum Glauben gelangt; hier nun (wie es die katholische Anschauung verlangt) wirft er beruhigt seine Anker und volle Befriedigung zieht ein in sein Herz und seinen Geist: aus einem gelehrten Heiden ist Cyprianus ein frommgläubiger Christ geworden und als Martyrer beschliesst er sein Leben. Er unterscheidet sich demnach von Göthe's Faust, dessen innerstes Wesen auf protestantischer Anschauung basirt ist, hauptsächlich durch das umgekehrte Verfahren, das er einschlägt, um seiner Seele Befriedigung zu schaffen: Faust glaubt erst, doch seine Seele durstet nach Beweis, nach Wissen, Cyprian findet im Glauben Ruhe und Sättigung, Cyprian hört dort auf, wo Faust beginnt.

Die Justina, ein kaltes, von dem Heiligenschein des Christenthums matt beschienenes Pendant zu unserem deutschen, lebenswarmen, innigempfundenen Gretchen, ist eine Nonne, eine Heilige, für die wir kein Interesse empfinden können. Kein Leben pulst in ihr und menschliche Gefühle kennt sie nicht; sie ist ein theoretisches Beispiel des tugendhaft und selig machenden Christenthums. Wir hätten nicht das Geringste einzuwenden, wenn sie diesen Cyprianus, den wir für einen ganz wackeren Mann halten, lieben und heirathen würde. Wozu den Lärm? Darin, dass er ein Heide und sie eine Christin ist, sehen wir in der Zeit der gemischten Ehen lebend kein Ehehinderniss. Im Gegentheil, wenn sie eine Christin und er ein Verehrer des Jupiter ist, so hätte sie in der Ehe das angenehme Nebengeschäft, Proselyten zu machen. -

Auch das will uns an ihr nicht gefallen, dass sie sich gar so viel darauf zu gut thut, dass sie in ihren Anfechtungen durch ihren Gott, den Gott der Christen beschützt worden sein soll. Es irrt, wer daraus auf die Macht desselben schliessen wollte. Wir glauben, dass auch schon die Götter der Heiden derartige Geschäfte besorgt haben und auch die jüdischen Jungfrauen werden nach unserem Dafürhalten nicht im Stiche gelassen, wenn sie sich in ihren Verdrängnissen an den Gott Abrahams wenden. Was in solchen Augenblicken den Sieg verleiht, ist nicht der Gott, der ausser uns wohnt, nicht die Konfession, es ist der feste Wille, der Charakter, der den Versuchungen widerstehen lässt. Da braucht es nicht Religionsform, nur Religion.

Das aber ist die Achillesferse des ganzen Stückes: der Drehpunkt ist eine Phantasmagorie, keine Wahrheit.

Der Dämon unterscheidet sich von dem deutschen Mephisto in mehr als einer Weise: er ist ein Kerl, den nichts rührt, nichts in Erregung bringt, der ohne Hass und Liebe, ohne alle Empfindung sein finsteres Handwerk treibt. Das Teuflische, so ferne es durch die frostigste Gemüthlosigkeit, durch die vollständigste Erstarrung charakterisirt wird (wie es auch die Scholastik annimmt), hat Calderon jedenfalls besser getroffen als Göthe. Aber wir Deutsche vertragen es nicht, das Absolutböse auf der Bühne ohne Farbe, ohne Regung zu sehen: die grossen dramatischen Dichter der germanischen Race, die allerdings sämmtlich Nichtkatholiken waren, geben den Vertretern des Absolutbösen (Richard III, Mephisto, Franz Moor, Mohr in Fiesko) stets den Humor mit und ohne ihn ist uns der Anblick des Teufels unerträglich geworden. Desshalb empfinden wir für den Calderon'schen Dämon auch kein weiteres Interesse, als jenes, das wir etwa bei dem Anblick eines ausländischen, fremdartigen Produktes aus dem Thier- und Pflanzenreich fühlen.

Dass trotz aller Versuche derartige Stücke, wie der wunderthätige Magus, auf der deutschen Bühne nicht das Bürgerrecht erhalten, begründet sich dadurch, dass sie an einem nationalen Kern in dem deutschen Geschmack anstossen, der Alles ihm ganz Fremdartige abwirft.

Rheinberger schrieb zu dem Stück eine Musik, die sich durch Noblesse, Originalität und poetische Haltung charakterisirt. Wohl am Besten sind dem talentvollen Komponisten jene Nummern gelungen, in welchen er die Justine gezeichnet hat: so wurde die Zwischenaktsmusik zum 2. Akt, wo sie musikalisch vorgeführt wird, mit dem lautesten Beifall aufgenommen. Grosse Schönheiten und Feinheiten entwickeln sich auch in den melodramatischen Piecen; dort finden wir überraschend schöne Gedanken in ganz neuen Gestaltungen. Die Ouverture ist ein Tonwerk, das ebenso geistvoll erdacht als fein empfunden ist; wir möchten nur die Kontraste, welche das Trauerspiel vorführt, noch entschiedener und wirksamer einander gegenüber gestellt sehen. Die Musik, welche im Ganzen von dem Hoforchester mit gewohnter Virtuosität ausgeführt wurde, fand die beifälligste Aufnahme.

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