Hedwig von Holstein berichtet an Franziska Rheinberger über die Aufführung von "Der Haideschacht"


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger

Dresden, den 27. Oct. 68

Liebe Freundin,

da Sie wissen, wie mir zu Muthe ist, so lassen Sie sich nur die äussern Thatsachen von unserm Geschick erzählen - nicht meine Empfindungen, denn die sind unbeschreiblich - mir ist, als erlebte ich Alles dies nicht selbst, sondern als ob es einer Andern geschähe.

Von Probe zu Probe erschien nicht uns allein, sondern allen Betheiligten, der Haideschacht [1] immer schöner zu werden. Die Sänger, die im Sommer, beim ersten Versuch, dagegen gewesen, sangen jetzt mit Leidenschaft und einer übertraf den andern. Die Musiker im Orchester äusserten unverholen ihre Freude, nur wurden die Proben überhastet, weil nun endlich die Oper heraus sollte nach diesem endlosen Zögern. So musst' es in 3 Riesenproben erzwungen werden, ohne vorhergehende Arangir-Probe, es war eine Haidenarbeit! Ein Musiker aus dem Orchester sagte, 'nicht für 1000 Thaler möchte ich die Oper dirigiren, so wackelig steht es mit dem Orchester'. Der 22. October kam und es fielen unzählige Fehler vor, aber kein einziger, der die Gesamtwirkung gestört hätte. Ouverture und Nummer auf Nummer wurde applaudirt, bis auf ein grosses Duett, für das die Stimmen nicht ausreichten, welches aber gerade von den Leipziger Musikern für das beste Stück gehalten worden. Zu Ende des 2. Actes erschallte das ganze Haus von Holsteins Namen, er war zu schüchtern, um heraus zu kommen und stand unentschlossen in der dunkeln Logenecke neben mir, und ich Unglücksvogel wurde schwach vor Erregung und musste hinausgebracht werden. Ich versuchte es wieder, hinein zu gehen, die Ohnmacht kam aber zurück, und so stand ich bis zu Ende draussen im Kühlen, wie eine Verbannte und hörte immer nur das Klatschen und die hohen Töne der Otto-Alssleben. Zu Ende nochmaliges Hervorrufen Holsteins, und er wäre wohl kaum gekommen, wenn Frau Krebs- Michalesi ihn nicht erst umarmt und dann mit vorgezogen hätte. Da ging ich wieder hinein in die Loge und sah, und sah die geliebte Gestalt, so rührend und verklärt erschien sie mir, und eine der Hauptstellen aus der Oper fiel mir ein: Herr! unwerth bin ich Deiner Gnade! -

Nachdem der Vorhang gefallen, haben ihn alle Sänger und Sängerinnen umarmt, und in den Foyers standen die Freunde und die ferneren Bekannten und es war ein Jubel, der nicht enden wollte. Die besten Freunde wurden mitgenommen, die Nacht hindurch in schwärmender Freude verbracht und in überfluthenden Hoffnungen für die Zukunft. Am andern Tag regnete es Blumen und Geschenke. Ein unbekannter Maler schickte ihm Photographien seiner besten Bilder, weil er gefühlt, wie meines Mannes Seele die seinige im Kunstwerk berührt; Telegramme und Briefe und Glückwünsche ohne Ende!

Das war noch gestern. - Heute erschienen die Recensionen - und keine ist möglich einer fremden Bühne zur Empfehlung eingeschickt zu werden. In der einen liest man: 'Ein Conglomerat von Liedern ist noch keine Oper!' - in der andern: 'Holstein ist ein ächter Wagnerianer, seine Musik ist ohne Absatz in alle Ewigkeit fortgesponnen.' Der einzige Trost bleibt, dass in keiner Recension ihm Talent abgesprochen wird, sondern in allen zugegeben. Der Tadel gilt nicht dem Buch, dass er Dichter und Componist zugleich sein will, kann man ihm nicht verzeihen. -

Ich kleine, schwache Seele habe mich, anstatt den Geliebten aufzurichten, völlig niederschmettern lassen. Ich, die ich nie krank war, bin ganz elend, habe den Arzt und nehme Medizin ein! Wären Sie nur seine Frau! -

Über Ihren letzten Brief habe ich auch geweint. Wie ganz erbärmlich und nichtsnutzig erscheine ich gegen Sie. Franz sagte auch, 'Siehst Du, das können andre Frauen für ihre Männer thun;' aber nicht Alle, - das bleibt mein Trost.  Er ist wunderbar stark und sagt 'ich habe ein so gutes künstlerisches Gewissen, dass, wenn diese Recensionen jede Annahme meiner Oper in anderen Städten unmöglich machen, ich doch getrost der Zukunft entgegensehe. Ich habe dies Alles nicht erlebt, und will's besser zu machen suchen. Ich habe Talent, das fühle ich nun deutlich, und Erfahrungen müssen alle machen.'

Ich denke mir, dass der vielleicht zu reiche Beifall geschadet hat, es fordert die Opposition heraus. Zu meinem Troste erinnere ich mich, dass Sie mir voriges Jahr von Wien etwas Ähnliches schrieben. Wie ist es möglich, einem vor Freude strahlenden Menschen diese Freude nicht zu gönnen! Ich bin und bleibe ein Kind und wundere mich über Dinge, die alle Welt selbstverständlich findet.

Wohl habe ich Ihrer tausendmal gedacht. Haben Sie Dank für Ihre freundliche Fürsorge wegen der Gürtelschlösser, sie sahen sehr gut aus und haben Freude gemacht.

Bleiben Sie uns treu!

In aufrichtiger Liebe und Freundschaft

Ihre Hedwig v. Holstein.

Franz ist nicht zu Hause und weiss nicht, dass ich schreibe, ich lüge keine Grüsse, darum steht keiner drin! - Um die Idee, die 7 Raben zu componiren, beneiden wir Sie Beide unsäglich. Es ist ein köstlicher Gedanke!

 

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[1] Franz von Holstein (1826-1876), Komponist. Gebürtig in Braunschweig studierte F.v.H. in Leipzig, Rom, Berlin und Paris. Er liess sich in Leipzig nieder, wo er das Holstein-Stift für unbemittelte Musikstunden schuf. Von seinen Opern hatten besonder "Der Haideschacht" (1868), "Der Erbe von Morley" (1872) und "Die Hochländer" (1876) Erfolg.