Franziska von Hoffnaaβ erhält biographisches Material über Rheinbergers Kindheit vom Vaduzer Hofkaplan Johann Josef Fetz.


Brief Johann Josef Fetz an Franziska von Hoffnaaβ
29. August 1867, Vaduz



Hochverehrteste Madame!
Ihr so freundliches Schreiben vom 28. Mai abhin, das mich mit grösster Freude erfüllte, gibt mir auch den Mut und Veranlassung an Sie einige Worte zu richten, um meinen Gefühlen voller Hochachtung Ausdruck zu geben, und um Ihrem Wunsche bestmöglichst zu entsprechen. Wenn ich Ihre so innige Anhänglichkeit an Ihren Herrn Gemahl, den nun grossen Josef, mit den schriftlichen und mündlichen Äusserungen voll edler Zärtlichkeit gegen seine Gemahlin vergleiche, so finde ich das daran, wer wahre Glückseligkeit auf Erden vollendet, nämlich nur ein Herz, eine Seele. Diese gegenseitige Innigkeit und Seele vollendet auch meine wahre Hochachtung und innigste Freude, und ich kann nicht umhin Ihnen wiederholt von ganzem Herzen zu gratuliren.

Sie wünschen einige Züge aus 'Josefs Kinderzeit'. Eine leibhafte Biographie zu schreiben, habe ich das Zeug, wie man sagt, nicht; aber was ich erfahren, will ich Ihnen getreu mitteilen.

Josef Rheinberger ist geboren den 17. März 1839 zu Vaduz, Fürstentum Liechtenstein. Sein Vater Joh. Peter Rh. war damals fürstl. Rentmeister, seine Mutter Elisabeth Carigiet von Disentis im Kanton Graubünden. Deren Bruder Jakob Anton Carigiet dermalen Domdekan an der bischöflichen Kathedrale in Chur, war früher vieljähriger Pfarrherr in unserer Nachbarschaft in Schaan. Der Grundcharakter dieser Eltern unseres Josefs ist beharrliche Religiosität. Ueber den kleinen Josef oder wie er hier noch jetzt genannt wird 'Peppe' waltete die göttliche Vorsehung wunderbar. Nicht lange vor seiner Geburt hatte Rheinbergers Mutter das Unglück, über eine lange alte Hausstiege hinunter zu stürzen, sodass man für die Geburt des Kindes schwere Folgen fürchten musste. Der ängstlich besorgte Vater machte in dieser bedenklichen Lage das Versprechen, der Kirche zu Vaduz eine neue Orgel zu widmen, um eine glückliche Entbindung zu erflehen. Gegen alle Erwartung hatte jener Fall der Mutter gar keine schlimmen Folgen.
Mit dem Bau der Orgel wurde begonnen. Inzwischen wuchs der kleine Peppe gesund und blühend auf. Seine älteste Schwester Johanna (nun barmherzige Schwester in Tirol) sollte auf Anregung seines obgenannten Herrn Onkels, damals Pfarrer in Schaan, sich der Musik widmen. Der Ortspfarrer verschaffte ihr ein altes Klavier, der Schullehrer, von Schaan[1] herüberkommend, erteilte Unterricht. Der Vater war anfangs nicht einverstanden, er sagte: meine Kinder sind nicht musikalisch. Das haben sie nicht erben können. Er hatte jedoch Unrecht! Wie der vierjährige Peppe das Geglimper des Klaviers hörte, probirte er mit seinen kleinen Fingern die Tasten zu drücken und war bald nicht mehr davon abzubringen. Der Lehrer merkte dies und liess die Schwester Johanna beiseite und nahm den kleinen Peppe in den Unterricht. Die Anfangsgründe waren schnell überwunden und die Fortschritte waren merkwürdig. Nun kam er zu der neuen Orgel, da waren aber die Füsse [2] des Kindes für das Pedal zu kurz und musste ein zweites erhöhtes Pedal als Sattel daraufkonstruirt werden und Peppe wurde mit 7 Jahren Organist. So war Peppe, dessen Geburt den Bau der Orgel veranlasst hatte, der erste Organist an dieser neuen Orgel. In der Tat merkwürdig! Während des Unterrichtes in Klavier und Orgel besuchte Peppe vom 6. Jahre an die hiesige Dorfschule; was er hier erlernte, war aber nicht von Bedeutung, denn sein Kopf steckte wohl beim Klavier und Orgel oder bei Kinderspielen. Trotzdem übertraf er alle seine Mitschüler. Als einmal diese vom Lehrer über Mittag Schularrest erhielten, da murrten sie, dass nur der Peppe davon gekommen sei. Der Lehrer sprach: 'Peppe lernt auf dem Sandhaufen mehr als ihr alle in einem Tag.' Unser Peppe pflegte seine Jugendunterhaltungen oft auf einem Sandhaufen oder in einem Graben zu treiben. Von der Orgel in den Graben und auch in den Sand in einem Sprung. Jemand äusserte einmal an einem Sonntag nach dem Gottesdienste vor der Linde den Wunsch, den kleinen Organisten zu sehen und erhielt die Antwort: 'Schauen Sie hin, dort am Brunnen steht er im Graben mit dem Wasser spielend.
Peppe besuchte die Dorfschule nur kurze Zeit, höchstens 3 1/2 Jahre; denn 1 1/2 Jahre war er in der Musiklehre in Feldkirch, kam jedoch jeden Sonntag und an Vorabenden vor Festtagen nach Vaduz, um an Sonn- und Festtagen die Orgel zu bedienen und ging gleich wieder nach Feldkirch, gewöhnlich zu Fuss drei Stunden weit.
Vom Herbste 1850-5 1 erhielt er bei mir einigen Unterricht mit einem gleichaltrigen Kameraden, den er weit überschaute, oft zum Besten, der es noch nicht weit gebracht hat. Ich weiss aber wahrhaft nicht, was er bei mir gelernt, denn wir trieben es nicht so ernstlich und gar nicht genau. Sein Studier- und Lesezimmer war oft sehr originell. Er machte sich auf irgend einem Baum einen Sitz zurecht und setzte sich 'unter die Vögel hinein' mit einem Buche in der Hand.

Nun handelte es sich um eine weitere ernstliche musikalische Ausbildung. Der besorgte Vater sträubte sich lange den Jungen nun in die weite Welt hinaus zu entlassen. Herr Pfarrer Wolfinger in Türkenfeld übernahm die Rolle eines Mentoir und öffnete dem Peppe Bayerns schöne Hauptstadt und so kam er im Herbst 1851 ins Konservatorium in München, wo er bald der Liebling der Herren Professoren Mayer und Schafhäutl wurde. Wie es dorten weiter erging, wissen diese Herren besser als ich zu erzählen.
Die Erfolge aber waren über alle Erwartungen zur höchsten Freude der Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunde und diesem Erfolg setzten Sie, Madame, die herrlichste Krone auf.

Der kurze Besuch des Herrn Professors gleich nach dem Tode Schwester Elisa hatte auf die trauervollsten Gemüter der betagten Eltern die wohltätigste Wirkung. Auch ich war darüber unaussprechlich erfreut. Er versprach uns auf nächstes Jahr einen längeren Genuss seiner und auch Ihrer Gegenwart. Sie werden hier zwar nur eine ländliche Dorfschaft finden, welche Sie aus der Ferne wohl schon gesehen, diesem aber die freundlichste und freudigste Aufnahme erwarten. Nebst der lieben Amalie, die während der längeren Krankheit ihrer seligen Schwester eine bewunderungswürdige Geduld und Aufopferung erwiesen, werden Sie auch an Ihrer Schwägerin, Frau Hauptmann Theresia, eine sehr liebenswürdige Gesellschafterin finden.
Auf diesen Zeitpunkt mich schon jetzt freuend habe ich die Ehre nebst herzlichen Gruss an Ihren Herrn Gemahl mich zu zeichnen

Ihr ergebener Joh. J. Fetz, Hofkaplan
Vaduz, 29. August 1867.

 

______________

[1] der Schullehrer, von Schaan... = Sebastian Pöhly (auch Pöhli) aus Schlanders/Südtirol, (1808 - 1889), Hilfslehrer in Schaan (Liechtenstein), war 1844 der erste, der die musikalischen Fähigkeiten des jungen Rh's erkannte und ihm auch Musikunterricht erteilte.
[2] Füsse = mundartlich für "Beine".