Johann Mayer bedankt sich bei J. G. Rheinberger für die "Tarantella" und berichtet über das Konzertprogramm in Wien.


Brief Johann Mayer an J. G. Rheinberger 
3. November 1867, Wien


Herzinnigster Freund.
Als ich vergangenen Dienstag mittag nach Hause kam, u. Deinen Brief sammt dem Packet am Tische fand, dachte ich zwar an eine kleine Überraschung, war aber nicht so eingebildet, das zu glauben, was ich bei Öffnung des Packets vorfand.
Die Tarantella [1], die mir in Kreuth so gut gefiel, u. deren Mittelsatz mir damals schon im Kopfe blieb, entfaltete sich vor meinen Augen, u. dazu Deine schelmische Widmung [2], welche mir zeigt, dass Du der in Kreuth zusammen erlebten, mir unvergesslichen Stunden, Dich noch erinnerst, u. Johnie, Deinen treuen, aufrichtigen Freund, auch ein bischen lieb hast.
Ich spreche Dir daher meinen wärmsten Dank dafür aus, und werde mich befleissen, durch unermüdliches Streben und oftmaliges Spielen, es zu jenem 'Allegrissimo' zu bringen, weiches der Componist mir auferlegt, u. welches Tempo mir noch von dem Vorspielen mit Deiner geehrten Frau Gemahlin erinnerreich ist.
Jeden Abend beginnen wir, Moriz u. ich, unsere 4händigen Klavierschlachten mit der Tarantella, die uns gleich in das gehörige Feuer bringt, worauf wir dann meistens aus dem Wallenstein spielen.
Deine Mittheilung bezüglich Letzterem macht mich eben nicht sehr lustig, denn ich war schon Deines Commens so gewiss, dass ich dies als unumstösslich glaubte. -
Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, und denke mir, dass Du es vorderhand selbst noch nicht weisst. In unserem Concertleben regt sich schon etwas. - Rubinstein (der Petersburger) gibt hier mehrere Concerte,und spielte heute in dem 1. Herbeck'schen Gesellschafts-Concert, Mozart's hinreissendes D moll Concert. Die Natur Rubinsteins kommt mir für diese klare, reine Musik zu gewaltig vor, der manche zarte Blüthe zertritt; dagegen in der Virtuosität und Ausdauer vielleicht unübertroffen ist. So spielte er neulich in seinem eigenen Concerte, am Schluss desselben, eine Etude von ihm selbst, die einen guten Pianisten gewiss, ohne dem Vorhergegangenen, schon erschöpfen würde.
Joachim und Brahms werden hier zusammenspielen, Helmesberger hat sein interessantes Quartettprogramin ausgegeben und das 1. Philharmonische ist nächsten Sonntag. Du hast gewiss die Kritiken über die Iphigenie in Aulis gelesen, ich war schon 2 male dort und könnte man es wirklich einen Umschwung des Geschmacks nennen, dass eine Oper, deren baldiges Wiederverschwinden man prophezeite, einen so ausserordentlichen Success hatte.

Beck leistete aber auch Vorzügliches darin, der die Schlussscene des 2. Aktes mit erschütternder Wahrheit spielte und sang.
Jetzt muss ich wieder Abschied von Dir nehmen, und sage Dir nochmals mit dem Ausdruck meines wärmsten Dankes für Deine liebenswürdige Erinnerung, herzliches Lebewohl.
Deiner hochgeschätzten Frau meine und meines Bruders achtungswerten Empfehlungen.

 

 

 

Es grüsst Dich Dein treuer Freund Johnie

vulgo Johann Mayer.
Wien am 3. Novbr. 1867.

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[1] Tarantella = Tarantella in B-dur op. 13 für Pianoforte zu vier Händen, Komponiert 1866.[2] ... schelmische Widmung = "Seinem Freunde Johnie in Wien."