Franziska von Hoffnaaβ berichtet David Rheinberger über ihre und Josefs allgemeine Situation sowie dessen jüngste Konzert-Erfolge.


Brief Franziska von Hoffnaaβ an David Rheinberger


München, 27. Dezember 1867

Lieber David!

Vor Allem die feyerliche Erklärung, dass ich von nun an, um mit meinen Brüdern und Schwagern nicht irre zu werden, das freundschaftliche 'Du' auch bei 'Dir' anwende, wenn 'Sie' nehmlich nichts dagegen haben.
Nach dieser Erklärung kommt gleich die Anklage gegen Kurt! Fast jeden Tag sage ich zu ihm ... 'schreibst Du heute an David?' 'Heute kann ich unmöglich - morgen aber ganz gewiss'. Da es nun gestern abermals so hiess, es heute bereits so spät Abends ist und ein Schüler so eben an der Thüre klopft, da wir um 7 Uhr zu Julius Maier gehen, so wird er wohl heute nicht mehr schreiben und ich will es meiner Feder nicht wehren, durchzubrennen und nach Vaduz voraus zu eilen.

Wie geht es Euch denn Allen Ihr Lieben? Wie habt Ihr die Feiertage zugebracht? Wohl in der Erinnerung an die arme Lisa mit manch trüben Gedanken! Ich weiss, wie das thut, wenn so eine festliche Zeit herannaht und die andern Familien der Nachbarn vollzählig sind - wenn dann im eigenen Hause eine leere Stelle ist und die Cedanken zurückellen, o - ich kenne das! -
Obgleich ich jetzt recht glücklich bin, so thut mir doch in diesen Tagen ganz still für mich das Herz etwas. weh ... ich gedachte meiner geliebten Todten und der langen Reihe der Christabende, die ich mit gedrücktem Herzen zubrachte ... und wie so jedes Jahr eines meiner theuren Angehörigen hinüber ging in die ewige Heimath. –
Den Abend brachten wir zu Hause zu. Ich putzte ein kleines Bäumchen, that aus meiner Schachtel, die Maly wohl bekannt sein wird, verschiedene rothe Kügelchen und hing sie auf. Kurt gab mir ein sehr schönes goldenes Armband mit einer Perle in der Mitte - es bedeutet wohl sein eignes Portrait, da er ein perlenhaftes Männlein ist. - Um 9 Uhr kamen die Eltern, welche vorerst bei Graf Arco eingeladen waren und wir 4 soupirten sehr gemütlich einen grossen Hechten. Als sie fortwaren, gingen Kurt und ich in die Ludwigskirche, wo ich um Mitternacht eine lateinische Hymne von ihm sang. Am Hauptfeyertag waren wir allein zusammen und den St. Stefanstag assen wieder die Eltern bei uns, meine Schwägerin Elise Hoffnaass und Stifts-Prediger Dusmann. Wir waren recht behaglich und ich kann Euch nicht genug sagen, wie glücklich ich bin, daf meine theuren Eltern so gerne bei uns sind und dass der liebe Gott sie gesund sein lässt. Der gute Papa ist gar so unendlich lieb und gut. Er würde Euch gewiss ungemein gefallen.
Kurt hat vor Weihnachten einen grossen Triumpf erlebt durch ein Concert des Oratorienvereins, welches sehr viel Bewunderung erregte. Es war ein grosses Oratorium 'Hercules' von Händel, welches zum erstenmale aufgeführt wurde und zwar ganz in derselben Weise, wie der Componist es vor 100 Jahren wünschte. Es gab natürlich vorher wieder viel Verdruss mit den Vorbereitungen, da die Hofsänger und Sängerinnen schwer zu bekommen sind und die Tenöre in ihrem Auftreten zimperlicher sind als die Hofdamen. - So oft Kurt die Geduld und den Muth verlieren wollte, gab ich mir alle Mühe, ihn wieder aufzurichten, da es ja für ihn als Künstler von Vortheil ist, sich im Behandeln allenfallsiger Intrigen und im Dirigiren zu üben. In keiner Künstlergeschichte bleiben solche Widerwärtigkeiten aus und die grössten Männer, wie z.B. Weber hatten dann von Concerten noch sehr oft einen entleerten Geldbeutei und schlechten Erfolg. Kurt hatte wirklich nur Ehre von dem Concerte und konnte sehr damit zufrieden sein. Am andern Tag schrieb ihm z.B. Professor, jetzt Rector der Universität, Windscheid einen überaus herzlichen Brief, worin er ihm, als Fremder, für den Genuss dankt, den er durch das Concert gehabt und schickte ihm zugleich seine Rectorats- Rede, die ich Dir gleichfalls zusende. Behalte sie nur, lieber David; denn wir haben ja das Windscheid'sche Exemplar. Wir gehen nun an ein zweites Concert, in welchem wir am Schlusse zwei Balladen [1] von Kurt machen, die er zu sehr hübschen Texten componirt hat und die hoffentlich für das Publikum ansprechend sind.

Pasdeloup aus Paris hat uns geschrieben, dass er die Stimmen des Wallenstein nicht zurückschicken könne, da er das Werk entschieden aufführen wolle, nur möchte man ihm, da er unendlich viel zu thun habe, Zeit und Musse zum Einstudiren des schwierigen Werkes lassen. Die Stimmen wurden für Wien neu geschrieben. -
Auf Neujahr erscheinen die 24 Präludien [2], welche Kurt für die neue Musikschule schrieb und an denen er arbeitete, während Peter hier war. Gegenwärtig arbeitet er wieder an einer Doppelsonate für 2 Claviere [3], da wir unlängst Bülow und Rubinstein zusammen spielen hörten und ihn das sehr anregte. Du siehst, er ist immer fleissig und thätig! Hätten wir nur einen recht gewaltigen Opernstoff - das wäre eine Freude!! Ich schreibe unaufhörlich über Kurt; Ihr mögt daraus erkennen, dass ich unzertrennlich mit ihm lebe und seine Interessen und Arbeiten für mich das Wichtigste sind. Ich glaube, wir führen eine 'echte Ehe', denn wir sind uns ausserdem noch die liebsten und nächsten Freunde und bedürfen keiner' andern Gesellschaft - ohne natürlich dieselbe auszuschliessen. Kurt ist Abends so unendlich gerne zu Hause, dass es ihm fast jedesmal ein Opfer ist in Concert, Theater oder Gesellschaft zu gehen. Er studirt jetzt fleissig Geschichte und da er auch an Geographie grosses Interesse hat, so schenkte ich ihm neulich einen grossen Globus, so dass es in seinem Zimmer ganz gelehrt aussieht. -
Nun trifft Euch die Reihe uns zu erzählen, wie es Euch geht? Wie habt Ihr die Feiertage zugebracht? Ich hätte so gerne Maly zu Weihnachten etwas geschickt aber sooft ich Kurt etwas darüber sagte, meinte er jedesmal, das passe nicht für Vaduz und da ich die dortigen Verhältnisse nicht kenne, so mag er recht haben. Ich lasse sie aber herzlich bitten mir zu schreiben, mit was ich ihr Freude machen kann? Ob mit einem Hute, Kleide, Jacke oder sonst einem gewünschten Gegenstande? Ich schicke ihr von Herzen gerne - nur muss ich wissen ... was?
Dasselbe gilt für Herminchen und ich erwarte im nächsten Briefe bestimmte Angabe! -

Ich habe bei einer Putzarbeiterin mehrere Hüte angesehen, aber ich weiss nicht, trägt sie sie rund oder geschlossen! - Ich schäme mich, dass ich nicht früher schrieb - Ihr habt mir dies zu verzeihen! -
Habt Ihr gelesen, dass mein Nussbaum [4] den Kronenorden bekam? Nun ist er Herr von - er verdient alle Auszeichnung, da er für die Armen so viel thut. -
Deinem Wunsche wegen einer Zeichnung werde ich mit Freude entsprechen. Vor Weihnachten hatte ich viel zu thun, da ich den armen Schulkindern unserer Pfarrei, so wie denen der Franziskanerpfarrei warme Sachen zu stricken hatte. Ich war dafür zu beiden Christbescherungen eingeladen und ich kann Dir gar nicht sagen, wie rührend ich das fand. Die Franziskaner (sage doch Maly, dass Pater Hellan jetzt Pfarrer dort ist) haben 230 Kinder vollständig gekleidet! Der Christbaum war auch ganz behangen und überdiess hatten sie ein grosses Transparent und feierlichen Kindergesang. Nach der Bescherung setzte ich mich noch in die Halle des Schulhauses auf eine Bank und sah Kind um Kind mit den Päckleins fröhlich die Treppe herunterpoltern. Ich hätte fast geweint, so sehr rührte es mich. - Wenn man auf der Welt das Gute suchen will, so findet man dessen so viel! -
Neulich hatten wir sehr feyerliche päbstliche Andachten. In unserer Domkirche war ein grosses Schlussfest, wobei ich mich, wie so oft, von Herzen freute, katholisch zu sein. Darüber lachst Du mich am Ende aus. -
Zum Schlusse kommt nun noch das Beste! Ein ganzer Berg von Wünschen zum neuen Jahr, in welchem wir uns hoffentlich endlich von Angesicht zu Angesicht schauen. Möge Euch der Himmel segnen und uns zwei gut in Euren Gedanken leben lassen.
Tausend Grüsse,
Fanny.

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[1] ... zwei Balladen = "Zwei Chorballaden" op. 17 (Nr. 1: "Das Schloss am Meer"/Ludwig Uhland, Nr. 2: "Die Schäferin vom Lande"/G.Ch.Pape).
[2] 24 Präludien = "Vierundzwanzig Praeludien in Etudenform für Pianoforte" op. 14. Mit den Worten "Seiner lieben Myrrha. Kurri. München im Oktober 1867" widmete Rh. das Werk seiner Frau.
[3] Doppelsonate für 2 Claviere = "Duo in a-moll für zwei Klaviere" op. 15, Prof. Ignaz Moscheles gewidmet.
[4] mein Nussbaum = Prof. Nussbaum, berühmter Arzt und Chirurg in München, Hausarzt und Freund des Ehepaares Rheinberger.