J. G. Rheinberger beruhigt die, wegen der schlechten Kritiken über die Wallenstein Aufführung der Wiener Philharmoniker am 9.2.1868, aufgeregte Familie, mit einem Brief an seine Schwester Amalia.


Brief J. G. Rheinberger an seine Schwester Amalia
16. Februar 1868, München


Liebe Maly!
Deinen Alarmbrief haben wir heute empfangen und es thut mir wirklich leid bemerken zu müssen, dass Ihr Alle Euch wegen dem Geschreibsel von ein paar Wiener Kritikern so sehr aufregen lässt; ich habe letztere eben nicht geschmiert, wie es in Wien üblich, daher knurren sie so und geben sich Mühe, den unbestrittenen Erfolg, den ich beim Publikum hatte, herunterzureissen. Es ist diess schon weit bessern Männern als mir passirt und wird mich deshalb nicht entmuthigen, denn so sehr bin ich in musikalischer Hinsicht doch nicht auf den Kopf gefallen, dass ich nicht gut und schlecht unterscheiden könnte. Sage allen Unsrigen, sie sollen sich nur darüber beruhigen, 'der Wanderer' bringe mein musikalisches Renommè noch lange nicht um. -
Meine liebe Frau wurde schon in Wien unwohl und liegt seit unserer Rückkehr wieder tief im Bett, - sie würde Dir sonst selbst geantwortet haben; sie hat eine Halsdrüsenentzündung und leidet viele Schmerzen, doch meint der Arzt (Dr. Amann) dass sie bis in acht Tagen wiederhergestellt sei. -
Und nun noch eine Bemerkung: Da ich nie für Kritik einen Groschen ausgeben werde, so kann es leicht sein, dass bei jedem meiner künftig erscheinenden Werke derartiges Geschreibsel losgehen kann; wenn ich mich nicht darüber gräme, so braucht es ja Niemanden zu beunruhigen. Übrigens gestehen ja alle Blätter ein, dass mein Werk 'sehr freundlich' aufgenommen wurde - Hellmesberger (der Direktor des Wiener Conservatoriums) versicherte mich wiederholt, dass er seit vielen Jahren kein neues Werk von dieser Bedeutung und künstlerischen Vollendung gehört - ähnlich äusserten sich Dessoff, Doppler und Herbeck, die Hofkapellmeister - ist das kein Erfoig? Bleiben also die Kritiker, - die erhielten nicht einmal ein 'Zehnerl' - das thut freilich weh - cum hinc illae lacrymae, (lass Dir von David übersetzen.)
Nun genug, gräme Dich nicht um Nichts, lass den Brief von den Andern lesen, grüsse die lieben Eltern und Brüder und bleibe gesund.

Grüsse von Fanny und
Deinem Bruder
Josef Rheinberger.

 

München d. 16/H 68.

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