In ihrem Wochenbericht über die Münchner Hoftheater berichten die "Münchener Propyiläen" (I. Jg. 1869, Nr.22, S. 523f.) über die Aufführung "Die sieben Raben"


In ihrem Wochenbericht über die Münchner Hoftheater berichten die "Münchener Propyiläen" (I. Jg. 1869, Nr.22, S. 523f.) am 28. Mai 1869:

Dass unter den während der abgelaufenen acht Tage zur Aufführung gebrachten Opern die zum ersten Male gegebene das hauptsächlichste Interesse in Anspruch nahm, liegt in der Natur der Sache; denn ist auch vorläufig noch kein Mangel an Opern zu entdecken, die sich nach einer ersten Aufführung sehnen, so haben doch solche, die sich bei näherer Prüfung als brauchbar documentiren, immerhin als weisse Raben zu gelten.

Zu dieser seltenen Species gehören auch Rheinbergers "Sieben Raben", welche am 23. im k/öniglichen/ Hof- und Nationaltheater zum ersten Male das Lampenlicht erblickten und vom Publikum mit steigendem Beifall aufgenommen wurden. Das von Franz Bonn verfasste Libretto entlehnte seinen Stoff einem durch die "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm und den Schwind'schen Bildercyclus allenthalben populär gewordnen Märchen, eine Wahl, die man unbedenklich als eine sehr glückliche bezeichnen darf, da der episch-lyrische Inhalt der reizenden Erzählung dem Wesen des Musikdramas vollkommen entspricht. Hier kann die Hof- und Staatsaction, die sich leider in so vielen Operndichtungen breit macht und zum Verfall der sogenannten "grossen Oper" nicht wenig beigetragen hat, nirgends festen Fuss fassen, und die nur auf dem Gebiete des gesprochenen Dramas als Grossmacht zu achtende Dialektik wird von jenen "zusammenhängenden Gefühlscyclen" reprimirt, welche F. Th. Vischer in seiner Aesthetik zu den wichtigsten Factoren für das Zustandekommen einer guten Oper rechnet. Nicht minder glücklich als die Stoffwahl ist dem Dichter die dramatische Disposition gelungen, insofern der Gang der Handlung durch Natürlichkeit erfreut, und gleichzeitig die einzelnen Scenen wirksame Contraste zu einander bilden. Von Nutzen hingegen würde es gewesen sein, hätte der Dichter - um das Anstreifen an die längst bekannten Opern-Typen zu vermeiden - die einzelnen Figuren zu selbständigeren Charakteren herausgebildet. Auch der Ort der Handlung wechselt etwas öfter, als es dem einheitlichen Eindruck eines Bühnenwerkes zuträglich ist. Diess hat namentlich vom zweiten Acte zu gelten - schon desshalb, weil hier jede innere Nothwendigkeit zur Verwandlung der Scene fehlt: denn ob Prinz Roderich seine Arie in einem Zimmer oder in einer offenen Gallerie singt, ist ziemlich gleichgültig, während es der nachfolgenden Situation jedenfalls viel angemessener sein würde, erwartete er die Braut im Zimmer seiner Mutter, statt von der Geliebten und ihrem Ehrengeleit sich aufsuchen zu lassen.

Der musikalische Theil der Oper ist gleichfalls sehr anerkennenswerth. Alles erscheint mit Liebe und Sorgfalt ausgearbeitet und zeugt von einem nur der wahren Kunst zugewendeten Geschmack. Jeder Situation ist das ihr Gebührende zugewiesen und wird ohne Rücksicht auf den Beifall einer nach Trivialitäten dürstenden Menge mit ernster Consequenz durchgeführt. Das Ganze macht desshalb - zumal im zweiten und dritten Acte - einen wohlthuenden und vielfach sogar bedeutenden Eindruck, wenn gleich nicht zu läugnen ist, dass die volle Lebendigkeit dramatischen Ausdrucks nicht immer erreicht wird. Zuweilen scheint es nämlich, als breite sich über die Tondichtung ein Schleier, der uns wohl einen Schluss auf die edle Intention des Componisten gestattet, jedoch die unmittelbare Wirkung, die wir von jedem Kunstgebilde verlangen, immerhin beeinträchtigt. All diese Bedenken sind übrigens von untergeordneter Bedeutung und zwar um so mehr, als wir in den "Sieben Raben" ein früheres Werk Rheinbergers zu beurtheilen haben. Allerdings unterwarf der Tondichter seinen dramatischen Erstling einer kritischen Revision, und was durch diese geschehen konnte, ist mit Rücksicht auf die ernste Richtung und die Einsicht des Componisten ohne Zweifel in bester Weise vollbracht worden. An den Grundzügen jedoch liess sich begreiflicherweise nichts mehr ändern; überdiess ist auch wohl zu bedenken, dass Bühnenkenntniss lediglich auf dem Wege der Erfahrung erlangt werden kann.

Die Aufführung, welche unter der Leitung des Componisten stand, verdient in jeder Beziehung vollste Anerkennung, da die Träger der Hauptrollen /…/ nicht minder Treffliches leisteten, als Chor und Orchester, der Maschinist und die Maler.

Ausstattung und scenische Einrichtung sind als sehr geschmackvoll zu bezeichnen, wofern man von der Cavalcade am Schlusse der fünften Scene des ersten Actes absehen will: denn sie erscheint - wenigstens so wie sie bei der jüngsten Vorstellung arrangirt war - nicht nur überflüssig, sondern auch gezwungen und steif. Aehnliche Bedenken liessen sich vielleicht auch gegen die Erscheinung der entzauberten Brüder im Finale des letzten Actes erheben; unnöthig ist sie jedenfalls.

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