Brief von Vincenz Lachner an Rheinberger über die Entwicklung der Proben für die Aufführung der "Sieben Raben" in Mannheim und er bedankt sich für eine Widmung


Der Brief Vincenz Lachners an Rheinberger lautet:


Mannheim, 10. September 1869.

Geehrtester Herr Professor!

Ihr plötzlich wie vom Himmel gefallenes Telegramm kann ich mir nicht anders als durch die Vermuthung erklären, dass Ihnen Zenger etwas von einer Überraschung ins Ohr geflüstert habe, dem ich allerdings die 1. Aufführung seines Ruy Blas nicht verheimlichte, aber zumuthete, derselben nicht beizuwohnen, wozu ich meine guten Gründe hatte. Bei Ihrer Oper ist das etwas ganz anderes und ich habe gar keinen Grund, Ihre Anwesenheit nicht zu wünschen.

Nun hat die Sache aber - leider! - gar keine Eile, denn ich fange mit den Klavier-Proben erst übermorgen an. Die anhaltende Heiserkeit unseres Roderich-Tenoristen und das Kindbett der Elsbeth-Sängerin wird auch Ihnen als kein unwesentliches Hinderniss einleuchten. Roderichs Hals ist jetzt wieder in normalem Zustande und Frau Koning-Reiser, obwohl noch schwach, wird bei ihrer ausserordentlichen Leichtigkeit zu memoriren die andern einholen, wenn sie schon fertig sind. Sie werden mit Recht fragen, warum der Zustand der Frau K/oning/ bei meiner Zeitbestimmung nicht in Rechnung kam? Die Sache erklärt sich leicht. Nach unsern Theatergesetzen bezieht eine Frau, sobald sie durch Schwangerschaft ausser Aktivität tritt, nur noch die Hälfte ihres Gehaltes und es liegt also in ihrem Interesse, über den Zeitpunkt der Katastrophe eine gewisse Ungewissheit walten zu lassen. Ich hatte Grund zu glauben, dass die Entbindung in die Zeit unserer Ferien - Juli - fallen werde, aber meine Rechnung war ohne den Wirth gemacht; sie erfolgte erst vor 14 Tagen und, nebenbei bemerkt, mit dem Tod des Kindes. Hier haben Sie die Aufklärung der Verzögerung.

Aber damit bin ich noch nicht zu Ende. Sie haben mir mit der Widmung einer schönen, geistreichen Komposition [1] mehr als eine grosse Freude gemacht, Sie haben mir die Ehre erwiesen - und ich habe mich noch nicht einmal dafür bedankt!

Es war meine Absicht, dieser angenehmen Pflicht zu genügen, als ich zwei Tage in München zubrachte und die Rheingoldgefoppten durch einen Neugierigen vermehrte.

Nach Ihrem Brief dürften Sie aus Kreuth zurückgekehrt sein; man sagte mir aber, dass Sie nicht in München wären. So ging ich denn wieder nach Mannheim mit dem Vorsatze zurück, Ihnen gleich zu schreiben, sobald Ihr Roderich wieder hergestellt wäre, und das wäre auch ohne Ihr Telegramm übermorgen geschehen, denn morgen singt er wieder zum 1sten male; er "rault"!

Übermorgen beginne ich mit den Klavier-Proben, hüte mich aber wohl, Ihnen über den Zeitpunkt der Aufführung eine sanguinische Angabe zu machen. Bei einem einfachen Personale, dem Fortgange der regelmässigen Vorstellungen und den unberechenbaren Sängerkehlen kann man sich um einen ganzen Monat verrechnen. Nur so viel kann ich versichern, dass, es an Fleiss, nicht fehlen soll, wozu noch der günstige Umstand tritt, dass die Sänger an ihren schönen Rollen Vergnügen haben und mit Lust studiren werden. Sobald es an die Bühnenprobe geht, werde ich Ihnen Nachricht geben und Ihrer Anwesenheit mit Freude entgegensehen.

Gestern sagte mir ein hiesiger Pianist, Sie hätten die Absicht, sich in Mannheim bleibend niederzulassen, welche Notiz ich mit einem ungläubigen Kopfschütteln accompagnierte. Durch die Post werden Sie morgen oder übermorgen ein kleines Zeichen meines Dankes erhalten; es ist freilich kein Aequivalent für Ihre Aufmerksamkeit, aber es wird vielleicht so viel zur Beurtheilung meiner Wenigkeit dienen, dass ich gerade so viel gelernt habe, um fremdes Verdienst gebührend würdigen zu können.


In aufrichtiger Hochachtung

Ihr ergebenster

V. Lachner.


Darunter von der Hand Fannys:

Bitte lieber Kurt, antworte ihm umgehend.

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[1] Das Fantasiestück op. 23 ist Herrn Hofkapellmeister Vincenz Lachner in Mannheim gewidmet.