Hedwig von Holstein schreibt ausführlich an Franziska Rheinberger über persönliche Angelegenheiten sowie auch die Aufführung von "Dornröschen" und einer Theaterprobe Wagners, welcher ihr Mann Franz beigewohnt hat


Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger in München:


d. 29t. April 1870.

Geliebte Freundin!

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Sie sind nun also recht in Wahrheit die "rechte Hand" Ihres Mannes, wie wir Frauen es in gewisser Weise alle sein sollten aber nicht können, weil wir meistens zu dumm sind. Aber der Arme! welche sonderbaren, schweren Leiden hat er zu bestehen und seinem Äussern sah man doch nie einen Krankheitsstoff an. Welches Glück für ihn, dass Sie seine Frau sind. Pflege und Liebe hätte er wohl auch bei einer andern gefunden, aber dies Verständniss & diese geistige Hilfe bei keiner! - Wie gut auch, dass Ihr Nussbaum jetzt wieder in M/ünchen/ ist, dem Sie so volles Vertrauen schenken können, da er sich bei Ihren Brüdern schon bewährte! Gott gebe baldige Besserung, die wir Beide dem theuern Manne von ganzem Herzen wünschen! -

Wir sind noch ruhig zu Haus, da Devrient meinem Mann vor 3 Wochen geschrieben hat, sowie das Friedensfest im Theater gefeiert worden, würde man mit dem Malen der Decorationen des Haideschachts beginnen, es solle die erste Novität sein & er werde ihm den Tag der ersten Aufführung noch melden. Nun haben wir noch nichts von einem Friedensfest im Carlsruher Theater gelesen, sitzen also noch ganz ruhig zu Hause, was auch Franzen sehr lieb ist, da er jetzt mit grösster Energie seine neue Oper beendigen will, um den Text vor Beginn des Herbstes versenden zu können. Er sitzt beim Finale des letzten Actes. Sie wird sehr freundlich und anmuthig, es ist viel mehr Empfindung als Comik darin, wie Sie sich denken können, eigentlich nur zwei an's Comische streifende Charaktere, eine weibliche Bravourparthie (unschuldig coquette) & deren Liebhaber. In der Dichtung wie in der Musik herrscht die Anmuth vor, es sind - verzeihen Sie der eitlen Frau - reizende Sachen darin, & von schönster Klangwirkung.

In 8 Tagen fangen meine Proben an. Da Franz nämlich viel zu ungeduldig, reizbar & unausstehlich ist, um ein eignes Werk von Dilettanten einzustudiren, habe ich es hinter seinem Rücken Freund Volkland übergeben. Wir machen es bei der Mama, & ich lüge Franzen was vor so oft ich den Mund aufthue. Erstlich macht es mir selbst die höchste Freude, das neue Werk zur Ausführung zu bringen & meine Parthie (jüngste Liebhaberin) darin zu singen, dann hoffe ich aber auch, dass es zweckmässig ist, wenn er erst hört, eh es gestochen wird, & dann bildet der kleine Kreis von 30-40 Personen, die mitwirken, einen natürlichen Stamm von Bewunderern für das neue Werk, was einen guten Grund legt für die spätere Öffentlichkeit. Ob wir nun mitten in dieser Thätigkeit unterbrochen werden durch die Carlsruher Aufführung, wer weiss es, aber solche - Theateraufführungen lassen oft monatelang auf sich warten.-

Bei Gelegenheit der hiesigen Aufführung des "Dornröschens" von Langert (beiläufig gesagt, ein Schandstück ohne Gleichen, ein Zerrbild des herrlichen Märchens, was ja die jungfräuliche Keuschheit darstellen soll & durch diese Bearbeitung ebenso unsittlich wie unsinnig geworden ist) - fragte Franz beim Theater an, warum man nicht lieber die 7 Raben genommen, da es doch auch ein Märchen sei. Man hat ihm ausweichend geantwortet, kürzlich aber hat Capellm/eister/ Schmidt gegen Fritzsch geäussert, die 7 Raben gefallen ihm sehr, & er werde sie gewiss noch zur Aufführung bringen. Vielleicht hat Ihnen das Fritzsch schon geschrieben, oder auch nicht, denn er liegt unter dem Zauberbann persönlicher Freundschaft mit dem grossen Richard [1]. Fritzsch war der Einzige, mit dem er hier eingehend sprach, und dieser ist natürlich ganz hingenommen von der grossen Einfachheit & Bescheidenheit des Riesen unsres Jahrhunderts.

Franz war in der Theaterprobe, um sich den Wagner-Spectakel mitanzuhören. Es war am Morgen und das Theater dunkel, nur im Orchester brannten die nöthigen Lampen, der Chor, welcher als Publikum, gegen Ende des Marsches einfallen soll, in der Mittelloge des Zuschauerraumes verborgen. Der Chor hat garnicht geklungen, ist vielmehr garnicht gehört worden aus der Ferne & bei der tiefen Lage der Stimmen. Wagner stellte sich vorn auf die Bühne an den Souffleurkasten, & kaum erschien er dort, so wurden sämmtliche Gasflammen angezündet, sogar der grosse Candelabre des Theatre paré, dazu ein Touche gebracht, & der König des Dramas verneigte sich. Darauf begann der Marsch, der nach Glauben des Capellmeisters Schmidt vortrefflich einstudirt war. Wagner schien nicht ganz der selben Meinung zu sein, sondern äusserte, wenn die Intention des Componisten nicht in der Ausführung klar heraustrete, so sei aus dem Marsche nichts herauszuhören, als ein wilder Lärm! Nun hat er selbst angefangen zu dirigiren &, wie Franz sagte, allerdings mit einer so hinreissenden Gewalt im Ganzen & einem Eingreifen im Einzelnen, wie er noch nie etwas von einem Dirigenten gesehen habe. Schön oder wohlthuend sei es allerdings nicht gewesen, denn die Leidenschaftlichkeit & Nervosität Wagners sei bis zum Äussersten ans Licht getreten, aber das Orchester und der Marsch sei allerdings zu etwas ganz anderem geworden. Zuletzt Dank & Anerkennung Wagners für die Leistung des Orchesters.

Cosima hat mit Brockhaus im Parquet gesessen & hat ihren jetzigen, neuen Mann abwechselnd mit Lorgnette & Operngucker beguckt. Franz hat sich von Beiden ferngehalten, im Gespräch aber öfters von "Frau von Bülow" geredet, was die Freunde Wagners jedesmal sehr entsetzt hat. -

Über Fritzsch und seine Richtung ist natürlich mein Mann auch ganz verzweifelt, der gute, einfache, kindliche Mann, was ist aus ihm geworden! -

Frau v. Karwinska bitte ich zu sagen, dass Frl. Regan hier sehr gefallen habe, & ich bitte Sie, einen Artikel in der Leipziger Modezeitung zu lesen, mit Portrait von Frl. Regan. Trotz der ganz schwachen Stimme & trotz einer zufälligen Indisposition hat man ihr volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, & in Privatkreisen hat man sie angebetet. Jetzt ist sie in England. -

Hier sind die Pocken sehr schlimm, sie haben neulich zwei uns befreundete Schwestern zu Witwen gemacht, die zusammen 17 Kinder zu erziehen haben! Manchmal packt mich die Angst vor dieser ekelhaften Krankheit. Die ganze Stadt hat sich impfen lassen. -

Auf Ihre Hymnen [2] freue ich mich, das ist etwas für unser Kränzchen.

Nun genug, fort im Sprung bis zur nächsten Aufführung!

Ihre

Hedwig v. Holstein.

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[1] Richard Wagner.
[2] Vier Hymnen für Mezzosopran und Orgel, op. 54, komp. 1865, 1866 und 1867, erschienen 1872 bei Simrock in Berlin.