Hedwig von Holstein schreibt Franziska Rheinberger über private und musikalische Angelegenheiten, zwei undatierte Briefe, die Anfang Juni 1870 verfasst wurden


Die Korrespondenz zwischen Hedwig von Holstein und Franziska Rheinberger umfasst im Juni 1870 folgende Schriftstücke:


/Anfang Juni/

Liebste Frau!

Wir sind mitten in der Spannung und Aufregung vor der Privataufführung, aber trotzdem muss ich ein paar Worte in Erwiderung Ihres lieben Briefes schreiben.

Gott, wie schmerzlich, dass Ihr lieber Mann so leiden muss. Sein schöries Clavierspiel, & in Allem so grausam gehemmt! Und wie sehr werden Sie mitleiden! - Sollen Sie denn in kein Bad gehen? Ich denke, es giebt auch für diese Dinge Bäder? Nussbaum wird das freilich besser wissen, aber es ist nun so Gewohnheit, dass man irgend etwas rathen möchte! -

Gott helfe Ihnen, Er allein weiss es am Besten! -

Dass die Wirren in der katholischen Kirche [1] Ihnen leid sind & im höchsten Sinne ärgerlich, das begreife ich vollkommen. Ich danke jetzt Gott, dass ich in diesem Augenblick keine Katholikin bin, denn es berührt sogar mich höchst peinlich als Protestantin, d.h. als Altgläubige, die gern an dem ewig festhalten möchte, was ich eine heilige Satzung nenne. Unser Freund Alfred Schöne aus Erlangen war kürzlich bei uns & gab Döllinger ganz unrecht und sagte, das neue Dogma sei ein altes & der Schritt des Papstes sei ganz legal & consequent; er als Protestant sagte das! -

Doch nun zu uns, da Sie so gut & theilnehmend sind. Die Aufführung in Carlsruhe ist bis zum Herbst verschoben worden, obgleich Levrient schrieb, dass er sich so sehr freute, den Haideschacht gleich zu bringen & mit den alten vorzüglichen Kräften. Ob die Vorbereitungen zum Friedensfest zu lange gedauert haben, sodass sie's vor Schluss des Theaters oder vor Entlassung der in die Ferien reisenden & ganz abgehenden Sängern nicht mehr möglich machen konnten, wissen wir garnicht. Franz hat verschmäht, officiell um die Ursachen zu fragen & hat den Bescheid vom Herbst nur privatim erhalten.

So gehen wir denn, so Gott will, Montag oder Dienstag den 20. oder 21. Juny von hier fort und denken zuerst 2 Tage in München zu bleiben, diesmal vielleicht im Bären, den uns Schöne empfohlen hat als ganz in Ihrer Nähe. Wird es Ihren lieben Mann angreifen, wenn wir Sie besuchen? Eingeladen wollen & können wir nicht sein unter diesen Umständen, nur sehen & sprechen wollen wir Sie! -

Dann denken wir die erste Vorstellung in Oberammergau zu sehen, am 24. Juny. Wissen Sie vielleicht, ob man sich Wohnung bestellen muss? Wäre es sehr unbescheiden, wenn wir, im Fall Sie dies für nothwendig halten, darum bäten, dies immer zu thun, ehe es zu spät wird? -

Von Ammergau wollen wir uns in Partenkirchen & womöglich in Waichensee einige wenige Tage herumtreiben & den 1. July in Oberstorf im Allgäu eintreffen, wo wir das durch Zufall diesen Sommer leerstehende Pfarrhaus von Loretto gemiethet haben, unsre Köchin von hier mitnehmen & eigne Wirthschaft führen, wenn's uns gefällt bis zum Spätherbst. Wenn Sie uns dort einnal besuchen könnten! Wir werden eine kleine Fremdenstube haben, fürs erste wird sie mein Goldkind bewohnen, Helene Hauptmann, die uns auf 6 Wochen anvertraut ist (darum sind auch 4 Betten in Oberammergau zu bestellen). -

Vor all diesem liegt aber noch der Berg der heimlichen Aufführung, über den ich hinweg muss. Franz denkt, wir haben ein Quintett aus der Oper studirt, was er gern einmal gut hören wollte. Bis jetzt ist es ziemlich geglückt, ihn zu täuschen. Aber am Sonntag war ich so angegriffen von den Proben & der unausgesetzten andern Thätigkeit (dazu war meine Mutter krank), dass mir das hohe A wegblieb, während ich 6 h & c ganz sicher hatte, wie in der Jugendzeit. Was machen? Volkland schob es auf das viele Üben in der Höhe. Das Messer stand mir an der Kehle. Ich lief in der Verzweiflung zu einer uns befreundeten Sngerin Juliane Orville (Schülerin der Viardot), sie nahm die Parthie herzlich gern, wenn sie sie noch lernen könnte. Nun will ich sie (wenn ich das A wieder haben sollte) in der Generalprobe singen, am Montag Abend (bitte denken Sie an uns), wo ich Franzen wie gewöhnlich zur Mama führen will & wo wir ihn mit der Oper, d.h. mit den ersten beiden Acten, denn der 3. ist noch nicht instrumentirt, Überraschen wollen, & Dienstag soll es Frau Flinsch-Orville singen vor einem sehr grossen Auditorium. Also habe ich ausser der Aufregung der Musik & der Freude noch die Sorge für 2 grosse Gesellschaftsabende, die Servietten müssen von einem Tag zum andern gewaschen werden, & in Einem Tag an 100 Personen eingeladen, well Franz erst bestimmen soll, wer & wer nicht! -

So breit mache ich mich mit meinen egoistischen Erzählungen, aber Ihre Freundschaft wird es ertragen.

Die Oper gefällt mir unsäglich, das will nicht viel sagen, & dass sie den Freunden & Mitsingenden ebenso gefällt, sodass sie mit wahrem Fanatismus mitsingen, das will auch nichts sagen! Sie müssen selbst hören oder lesen. -

Ich denke, unser jüngstes Kind ist nun getauft & heisst: "Des Bruders Heimkehr". Der Conflict liegt in der Verwechslung der brüderlichen Liebe eines jungen Mädchens zu einem Vetter, den sie für den heimgekehrten Bruder halt, aus der die andre Liebe entsteht. Nebenbei eine Testamentsverwicklung. -

Nun mehr als genug, auf baldiges mündliches Aussprechen!

Ihre Hedwig v. Holstein. Von ganzem Herzen gute Besserung wünschend!


2. Brief

Geliebte Freundin!

/…/

Wie danke ich Gott, dass es in Wahrheit Ihrem Gatten besser geht! Es ist eigen, dass ich jedesmal eine bestimmte Empfindung habe, wenn Sie mir schreiben; nicht wenn ich den Brief empfange, sondern in der Zeit, wenn Sie an mich schreiben empfinde ich das lebhafteste Verlangen von Ihnen zu hören und es läuft allemal zu der Zeit der Termin ab, in welchem ich die Pause aushalten kann, eben dann will auch ich schreiben. Das geduldige Leiden Ihres Mannes rührt mich sehr. Ach, es ist doch ein einziger, herrlicher Mann, und es ist so tröstlich und so erquicklich, endlich einmal einen gross- artig angelegten Charakter kennen zu lernen!

Wenn er nur nicht so rasend arbeitete. Sie bringen uns zur Verzweiflung mit Ihren Berichten über seine neuesten Werke, zum Theil ist es Neid, was wir dabei empfinden, zum Theil aber auch Sorge, weil eine solche seelische Anstrengung wirklich nicht gut enden kann!-

"Francesco" hofft vor unserer Sommerreise mit der Conception seiner komischen Oper fertig zu werden, aber das Instrumentiren verbleibt dann noch, und dabei ändert er dann so viel, dass ich noch gar nicht absehe, wann die neue Oper vom Stapel laufen wird.

Inzwischen wird der Haideschacht wieder in Bremen gegeben, wo er guten Boden finden wird, hoffe ich, der musikalischen Richtung nach. Lachner hat aber den Haideschacht zurückgeschickt, mit dem Bedeuten, dass in nächster Zeit keine Kräfte zur Aufführung vorhanden selen. Sonderbar, in Mannheim hat Ihr Mann mit seiner ganzen Autorität das Werk empfohlen, und in Bremen ein unbekannter Baritonist, der hier den Stearson gesungen hat und in Bremen engagirt wurde.

Die Leipziger Theater-Wirren geben täglich neue Rätsel auf, mein Mann ist sehr davon hingenommen, er steckt mitten drin, was mir oft zu viel wird.

Wir hoffen, dass es den 7 Raben nicht schaden soll, nur natürlich ist in nächster Zeit an keine Antwort darüber zu denken. Franz freute sich schon, ehe Sie es schrieben, Ihrer Eingabe und hat sie befürwortet.-

In Weimar soll es sehr garstig gewesen sein, Liszt's Büste ist bekränzt worden, nicht die Beethovens. Dieses Gelichter hat wirklich nur die Gelegenheit ergriffen, sich selber zu verherrlichen. Man hat nur imner von "IHM" und von "IHR" (Liszt und die Viardot) gesprochen, ohne ihre Namen zu nennen: es gäbe nur einen Er und nur eine Sie in Weimar. Franz war gar nicht da, weil er von dieser Stimmung schon vorher gehört hatte,und einen Abscheu davor hat, der gerade so stark ist, wie der Ihrige.

Unsre Sommerpläne sind: Mitte Juli nach Carlsbad, Ende August Oberatnmergau (könnten wir mit Ihnen dort sein, ich freue mich so unsäglich seit 2 Jahrzehnten darauf, und da Sie es noch nicht gesehen, ist doch unbegreiflich?) September nach Carlsruhe, Aufführung des Haideschacht, zwischen den Proben oder nachher Schwarzwaldstreifereien. Mir scheint, dass wir uns auf diese Weise verfehlen, denn wir kommen fragesohne Ende August durch München, frühestens Mitte.

Wegen Carlsruhe können wir's nicht anders einrichten, ausser die Aufführung fiele später in den Herbst hinein. Auf 8 Tage bairisches Gebirge - vielleicht Pertisau? spitze ich mich auch, und das träfe vielleicht mit Kreuth wenigstens zusammen.

/…/

Hedwig v. Holstein.

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[1] Die kontroversen Lehrmeinungen und Dogmen (vor allem das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes) während des 1. Vatikanischen Konzils führten 1817 zur endgültigen Trennung der Altkatholiken von der Römischen Kirche.