Jos. Rheinberger schreibt seinem Bruder David von seiner Kur in Bichel.


Brief von Jos. Rheinberger an David Rheinberger

Bichel bei Benedictbeuern
den 19. Sept. 1871.

Lieber Bruder!

Getreu meiner gehegten Absicht, nach meinem Besuche in Vaduz noch eine Soolcur zu gebrauchen, gingen wir, meine Frau, der getreue Scarli und meine Wenigkeit hierher in's Hochland. Täglich gebrauche ich ein Volibad und ein Handbad und glaube eine kleine Besserung schon jetzt wahrnehmen zu können. -

Bichel ist ein kleines, schön gelegenes und frequentes Dorf. Die Heilquelle (Adelhaidsquelle) fliesst in dem 1 Stunde entfernten Heilbrunn und wird täglich per Achse frisch hierhergebracht. Von meinem Fenster (im Gasthof zum bayrischen Löwen) aus sehe ich gerade auf das grosse, ehemalige Kloster Benedictbeuern - dasselbe, nur eine kleine Vierteistunde entfernt, wurde anno 740 von Herzog Thassilo erbaut und ist nun Invalidensitz und - Fohlenhof. Die im Halbkreis um Bichel beginnende Gebirgsformation gipfelt in der 5700'hohen 'Benediktenwand', während südwestlich in der Entfernung von 6 - 9 Stunden sich die Ammergauer Berge zeigen. Von hier an den Kochelsee ist eine Entfernung von einer Stunde, an den Waichensee von 3 1/2 Stunden. Das weite Gebirgspanorama ist ganz prächtig. Das Wetter bis auf den heutigen Tag ausgezeichnet. Alle Freitage und Samstage ziehen ganze Caravanen Fremder hier durch nach Oberammergau, zum Theil in den abentheuerlichsten Aufzügen - das immer neugierige Volk Albions natürlich vornedran. Diese Wanderzüge gaben uns viel Stoff zum Lachen, und da Fanny flott zeichnet, so blieb eines Manchen Conterfei zurück.

Wir bleiben bis gegen Ende September hier und gehen dann direkt in's Winterquartier München. -

Wie geht es mit Deiner Gesundheit? Grüsse Alle herzlich und schreibe bald Deinem Bruder
Josef Rheinberger.

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