Neujahrsbrief 1871/1872, Jos. Rheinberger berichtet seinen Eltern von dem Verlauf seiner Krankheit und seiner neuen Oper


Brief von Josef Rheinberger an seine Eltern

 

München d. 30./12.71.

Theuerste Eltern!

Wenn ich mir über dem vielen Notenschreiben das Briefschreiben fast abgewöhnt zu haben scheine, so will ich doch eine so wichtige Zeit, (die des Jahreswechsels) nicht vorübergehen lassen, ohne den theuern Eltern das beste Wohlergehen im neu beginnenden Jahre zu wünschen und dabei Gott für das viele Gute des vergangenen Jahres zu danken, vor Allem für Ihre kostbare Gesundheit. Auch ich kann, abgesehen von der Krankheit meiner rechten Hand, die allerdings nun ein volles Jahr dauert und nur äusserst langsam schwindet, mit dem verflossenen Jahre zufrieden sein; ich kann bereits anhaltend schreiben, auch ein wenig Klavierspielen. Die Wunde der Hand ist noch nicht geschlossen, doch bin Ich dadurch durchaus nicht an Übung der Berufsgeschäfte gehindert. Nussbaum sagt, es sei besser, wenn sich die Wunde recht lange nicht schliesse.

Die Vaduzer Orgel habe ich im October bei Steinmeyer bestellt; sie bekommt 32 Register und 3 Manuale. Dass ich mit einer neuen Oper beschäftigt bin, wissen Sie bereits durch meine Frau. Ich habe noch enorm viel damit zu thun, denn ich soll bis Ende Februar damit fertig sein, damit sie (wenn kein unerwünschtes Hinderniss kommt) im Monat Mai auf dem Hoftheater gegeben werden kann; und da ich erst im October begonnen habe und man sonst auf eine 3aktige Oper wenigstens ein Jahr Arbeit rechnet, so können Sie sich vorstellen, dass ich mehr Briefe versäumte, als schön und gut war. -

Die Oper ist eine komische und heisst 'Thürmers Gertrud', spielt in München, (anno 1626 als die Schweden hier waren). Gustav Adolf kommt auch drin vor. Vorgestern spielte ich den ersten Act Lachner vor, der ganz entzUckt darüber war (war's ganz aufrichtig?). Bülow hat in Florenz ein neues Werk von mir [1] aufgeführt, das auf allgemeines Verlangen in acht Tagen wiederholt wurde.

Sie sehen also, dass ich nicht faulenze. Mit den herzlichsten Grüssen und besten Glückwünschen an Alle verbleibe ich wie immer Ihr dankbarster Sohn
Josef.

Alles Gute und Schöne von meiner Frau.

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[1] Klavierquartett in Es-dur, op. 38.