Jos. Rheinberger beglückwünscht zum Erfolg seiner Oper "Der Erbe von Morley". Er berichtet ihm ausserdem vom Ärger mit seinem Librettisten Max Stahl


Brief von Jos. Rheinberger an Franz von Holstein:


München, 3./II.72

Hochgeehrter Freund!

Vor allem meine herzlichen Glückwünsche zu dem Erfolge des Erben, der Ihnen umsomehr zu gönnen ist, als Sie mit nicht unbeträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und es heutzutage ein wohltuendes Gefühl ist, wenn auch 'ausser-wagnerische' deutsche Opern durchschlagen. Dass eine so grosse und sehr schreibselige Partei dergleichen nicht gelten lassen will, wissen wir - umso besser, wenn derselben hie und da ein solches Argumentum ad oculos vordernonstrirt wird.

Da unzweifelhaft noch einige Vorstellungen Ihrer Oper gewesen sein werden, so würde es uns höchlich freuen, wenn Sie, oder Frau von Holstein, noch weiteres berichteten, da Zeitungsberichte bisher noch ausstehen. Also ein nochmaliges herzliches Glückauf; möge der Erbe uns bald in München besuchen!

In meiner famosen Leipziger Theaterangelegenheit geht nichts vor. Direction, Haase, Schmidt etc. antworten garnicht, die haben's gut - mit Schweigen kann man sich ja den Ruf eines tiefdenkenden Philosophen erringen und noch dazu so wohlfeil! Ich schrieb vor einiger Zeit an Director Deutschinger, der ja die Interessen der dramatischen Autoren & Componisten vertritt, - er schweigt; auch Fritzsch, einstens so federbeschwingt, schweigt - grässlich - unheimlich - sollte in Leipzig ein Geheimbund der 'Schweigenden' existiren, der das Gelübde der Tintenenthaltsamkeit auferlegt?

Wie wäre es, wenn ich durch ein Telegramm mit bezahlter Rückantwort die Partitur der sieben Galgenvögel von der Direktion forderte? Die Sache wird durch ihre Langweiligkeit nachgerade komisch. -

Heute beginne ich (in der Partitur) das Finale des III. Aktes von 'Thürmer's Töchterlein'; möge ein guter Stern darüber walten. Wie wäre es, wenn ich die zu versendenden Partiturexemplare versichern liesse? - Existirt keine derartige Gesellschaft?

Mein Librettodichter ärgert mich von Zeit zu Zeit (in der besten Meinung allerdings); er scheint manchmal Angst für „seinen Theil“ unseres Töchterleins zu haben; ich dachte schon an König Salomon, der den Streit zu schlichten eine radikale Theilung vorschlug. Wie würde man bei einer Oper eine solche Theilung anstellen? Ich wäre in der grössten Verlegenheit - ich müsste rein Nohl, oder Maczewski oder einen anderen Musik'deuter'(früher hörte man Musik, heutzutag muss man sie deuten können) fragen - denen würde, da nur Wagner eine wirkliche Vermählung von Wort und Ton gelingt, es gewiss nicht schwer werden, Text & Musik chemisch zu sondern. Nun, am wenigsten Verdruss haben Sie gewiss mit Ihrem Librettisten gehabt; schliess- lich soll man sich die Texte eben selbst machen!-

Lachner geht in drei Wochen wieder nach Leipzig mit seiner Suite No.6 ex C, auf deren reizende Gavotte ich Sie besonders aufmerksam mache, auch seine "Cornaro" soll dann dort gegeben werden. Zur Vorsicht wird er jedenfalls eine zweite Partitur derselben in die Manteltasche stekken.-

An Frau v. Holstein meine herzlichsten Grüsse, wie an Frl. v. Holstein; auch an Volkland. Scarlatti, der ehemals berühmte Pianist, des Appetit in Folge unbegreiflicher Seelenwanderung auf unsern dicken "Mohrle" übergegangen ist, bittet seinen freundlichem Gruss auch ein Plätzchen zu gönnen.

Mit den besten Wünschen für Ihr und der Ihrigen Wohl

Ihr ergebener Freund

Josef Rheinberger."

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