Franz von Holstein gratuliert J. G. Rheinberger zu seinem Erfolg mit dem Töchterlein in Gratz und berichtet, dass Brahms in Leipzig erwartet wird


Brief von Franz von Holstein an Josef Rheinberger:

 

21.1.1874

Verehrtester Freund !

Meine Frau schreibt eben der Ihrigen, und da nehme ich die Gelegenheit wahr, ein Blättchen in das Couvert gleiten zu lassen, welches Ihnen meinen Dank aussprechen soll für Ihre freundliche Zuschrift. So dick dieselbe mit Urschlamm überzogen war, sah doch genug von Ihrer künstlerischen und freundschaftlichen Gesinnung daraus hervor, um vom Empfänger mit Freude begrüsst zu werden. Sie sind uns künstlerisch in letzter Zeit mehrfach nahe gewesen, ohne recht eine Ahnung davon gehabt zu haben. Frl. Menter (juniora) [1] spielte Ihr schönes Clavierquartett [2] im Deutschen Musikerverein recht brav, und die lieben Walchen-See-Lieder [3] haben wir ohnlängst schlecht und recht Abends in unserem Kränzchen gesungen und uns weidlich daran ergötzt. Vom besten Erfolg Ihres Töchterleins in Gratz meldeten ja die Zeitungen, und sage ich dazu meinen herzlichen Glückwunsch.   

Nächste Woche wird Brahms hier erwartet. Er war lange nicht hier und wird besseren Empfang finden als früher und als Mancher ihm vielleicht wünscht. Das Publikum ist jetzt mehr an seine Sachen gewöhnt, das Requiem, die Walzer und Magellonen-Romanzen haben das ihrige dazu gethan. Die meisten Kritiker hingegen stehen auf dem absoluten Brahms-Schwärmerei-Standpunkt, was ihm zu Gute kommen wird. In demselben Konzert, wird das neue sächsische Königspaar sich dem Leipziger Publikum zum ersten Male zeigen, also das Interesse wohl etwas getheilt sein. Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und herzlichen Grüssen an Ihre liebe Frau ganz der Ihrige

F.v. Holstein.

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[1] Sophie Menter, verh. Popper (1846-1918), Pianistin, Schülerin von Tausig, Bülow und Liszt.
[2] Quartett in Es-dur für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violonvello, op. 38, komponiert 1870.
[3] "Am Walchensee". Acht Lieder für gemischten Chor a capella nach Gedichten von Carl Lemcke, op. 63, komponiert 1872.